Weniger Geld für Infrastruktur: SBB warnen vor «kaum mehr akzeptierbaren Sicherheitsrisiken» – das Bundesamt für Verkehr widerspricht

Nehmen Sicherheitsrisiken bei der SBB mittelfristig zu? Bild: SBB

Die SBB sollen für die Infrastruktur weniger Geld erhalten als zunächst gefordert. Sie warnt deshalb vor «latenten Sicherheitsrisiken», die mittelfristig auftreten und sich «auf ein kaum mehr akzeptierbares Niveau erhöhen» würden. Übertreibt die Bahn – oder drohen Streckensperrungen und Ausfälle wie zuletzt in Basel?

von Stefan Ehrbar
13. November 2023

Der Bund spart – auch bei der Eisenbahninfrastruktur. Inflationsbereinigt will er den Bahnen für die Jahre 2025 bis 2028 weniger Geld für den Betrieb und den Erhalt der Infrastruktur bereitstellen als in der laufenden Periode. Die Bahnen beantragten 19,7 Milliarden Franken, um ihre Tunnels, Brücken und Gleise in Schuss zu halten, der Bund will aber nur 15,1 Milliarden Franken bezahlen.

Der Bundesrat begründet das im neuen Bericht zur Finanzierung des Betriebs und des Substanzerhalts damit, dass die Bahnen in ihren Offerten «sehr optimistisch» gewesen seien, was sie in dieser Periode überhaupt umsetzen könnten. Der Bund gibt aber zu, dass «voraussichtlich eine reale Abnahme der Substanzerhaltungsquote» zu erwarten sei. Mit anderen Worten: Der Rückstand bei der Erneuerung und im Unterhalt der Infrastruktur wird anwachsen.

Auf die Sicherheit habe dies aber keinen Einfluss, betont der Bund. Anders sehen dies die SBB, die grösste der hiesigen Bahnen. Sie sollen voraussichtlich 7,734 Milliarden Franken erhalten – weniger als beantragt. Für die Periode 2021 bis 2024 waren noch 7,630 Milliarden Franken vorgesehen, was inflationsbedingt einem höheren Betrag entspricht. Seither ist das Netz der Bahn angewachsen, womit sie mehr in die Infrastruktur investieren muss.

Die SBB warnen in drastischen Worten vor den langfristigen Folgen von weniger Investitionen. «Aus Sicht der SBB würden sich die latenten Sicherheitsrisiken auf ein kaum mehr akzeptierbares Niveau erhöhen», heisst es im Bericht. Der Bund sieht das anders: Er könne diese Aussage «aktuell nicht nachvollziehen», heisst es im Bericht. Er gibt aber zu, dass mit den vorgesehenen Investitionen die Ziele «bezüglich des langfristigen Werterhalts und der Gewährleistung der Verfügbarkeit und Resilienz des Netzes nur teilweise sichergestellt» sind.

Mit dem Geld könnten «die Verfügbarkeit und Qualität des Netzes weitgehend, aber teilweise unzureichend erhalten» werden. «Der jährlich von den SBB ausgewiesene Trend des zunehmenden Rückstands beim Substanzerhalt kann mit den vorgesehenen Mitteln, aber auch aufgrund des umsetzbaren Bauvolumens nicht gebrochen werden.» Es müsse mit einem weiteren Anstieg des Rückstands und mittelfristig mit einer Verschlechterung des Zustands gerechnet werden.

Was ein Rückstand bei den Ausgaben für die Infrastruktur bedeuten kann, haben gerade Pendlerinnen und Pendler in Basel erfahren. Die SBB mussten die Margarethenbrücke am letzten Freitag überstürzt für den Tramverkehr sperren und schnitten damit ganze Quartiere vom öffentlichen Verkehr ab. Obwohl der Sanierungsbedarf laut der «bz Basel» seit Jahren bekannt ist, handelte die Bahn nicht. Wenn sie weniger Geld für ihre Infrastruktur erhält, könnten im schlimmsten Fall im ganzen Land ähnliche Vorfälle mit Auswirkungen auf den Fahrplan und die Pünktlichkeit drohen.

Die SBB wollen ihre dramatische Einschätzung nicht kommentieren. Die Bahn äusserte sich aber im Rahmen der Vernehmlassung, die bis Ende Oktober lief (mehr dazu morgen). Zur Sicherheit wählte sie dort deutliche Worte. Eine strukturelle Unterfinanzierung der Infrastruktur werde «mittel- bis langfristig eine eingeschränkte Anlagenverfügbarkeit zur Folge haben». Das führe zu Langsamfahrstellen und Streckensperrungen. Zudem sei eine zunehmende Überalterung der bestehenden Anlagen zu befürchten, «was mit einer generellen Zunahme der inhärenten Sicherheitsrisiken der Infrastruktur verbunden ist. Dies gilt unter anderem für Anlagen wie Stützmauern oder Durchlässe». Auch seien weitere Verbesserungen der Sicherheit nicht möglich – etwa die Beseitigung von Engstellen in Publikumsanlagen.

Die SBB-Anlagen werden derzeit mit einem Wert von 2,7 benotet, wobei ein Wert von 1 einem «neuwertigen» Netz und ein Wert von 5 einem «ungenügenden» Zustand entspricht. Besser schneiden die Netze der Südostbahn (SOB) mit einem Wert von 2,3 oder der BLS mit einem Wert von 2,6 ab, während jenes der Rhätischen Bahn mit einem Wert von 2,8 mehr Nachholbedarf aufweist.

BAV-Sprecher Michael Müller sagt, wie andere Bahnen hätten die SBB in der aktuellen, frühen Phase der Verhandlungen «deutlich mehr Geld gefordert». Auch die SBB kämen aber zur Einschätzung, dass sie die bestehenden Anlagen in der Periode 2025 bis 2028 mit den vorgesehenen Mitteln sicher betreiben könnten.

Es gebe bei den SBB keine akut kritischen Anlagen, bei denen sofortiger Handlungsbedarf bestehe. Bei den Anlagen, die als «kritisch» eingestuft werden, seien Massnahmen definiert worden, so Müller. Seit dem Jahr 2014 habe sich der Anlagenzustand bei den SBB kontinuierlich verbessert. Die Verspätungsminuten, die durch die Infrastruktur verursacht werden, seien kontinuierlich gesunken.

Die Bahn habe in den letzten Jahren zwar das Instandhaltungsvolumen nicht vollständig umsetzen können. «Die Ursachen liegen aber nicht bei den finanziellen Mitteln, sondern der Verfügbarkeit von Bauintervallen oder von Ressourcen.» Die Sicherheitsbedenken der SBB würden sich auf einen langfristigen Horizont beziehen und beruhten auf Berechnungen eines «abstrakten Substanzerhaltungs-Rückstandes». Dieser müsse aus Sicht des BAV konkretisiert werden, «damit eine sinnvolle Diskussion möglich ist». Parallel zur laufenden Vernehmlassung liefen die Gespräche mit den Bahnen und den SBB weiter.

Neben den SBB sollen zwischen 2025 und 2028 die höchsten Beträge für die Infrastruktur der BLS (1,050 Milliarden Franken) ausbezahlt werden, gefolgt von jener der Rhätischen Bahn (1,027 Milliarden Franken) und jener der Transports Publics Fribourgeois (0,411 Milliarden Franken).

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