Benedikt Weibel will keinen Einzelwagen-Verkehr mehr und sagt: «Die ÖBB ist dank uns viel besser geworden»

Buchautor und Ex-SBB-Chef Benedikt Weibel. Bild: zvg / Michael Stahl

Benedikt Weibel leitete während 13 Jahren die SBB, war im Verwaltungsrat der französischen SNCF und präsidiert die österreichische Westbahn. Im zweiten Teil des Mobimag-Interviews sagt er, warum beim Güterverkehr manchmal die Strasse die bessere Lösung ist und ob die Westbahn ein chinesisches Einfallstor ist.

von Stefan Ehrbar
22. September 2021

Herr Weibel, Sie betonen, dass das Auto auf dem Land auch in Zukunft wichtig sein wird. Gleichzeitig leistet sich die Schweiz eine sehr dichte ÖV-Versorgung auch auf dem Land. Ein Fehler?
Nein. Die Grundversorgung ist extrem wichtig, und die kostet nun mal. Wenn wir die gesamten Aufwendungen für den ÖV betrachten, machen die Postauto-Linien auf dem Land den kleinsten Anteil aus. Diese Grundversorgung ist ein grosser Vorteil der Schweiz – aber auch nur möglich, weil das Land so kleinräumig ist. In Frankreich oder Deutschland liesse sich das nicht finanzieren. 

Der Anteil der Elektrofahrzeuge an den Neuzulassungen steigt steil. Gleichzeitig verschwindet damit bei vielen das schlechte Gewissen. Wird das zum Problem?
Die Dekarbonisierung des Autoverkehrs ist absolut zwingend. Ein batteriebetriebenes Auto stösst keine Schadstoffe aus, das ist gut. Aber wir müssen den Verkehrsfluss auch künftig gewährleisten. Das kann mit Automatisierung und Sensorik geschehen. Viele Staus entstehen beispielsweise wegen dem Handorgel-Effekt und Geschwindigkeitsdifferenzen. Das lässt sich verhindern. Ausbauten hingegen müssen wir kritisch hinterfragen. Sie sind sehr teuer und dauern lange. Wir müssen die bestehende Infrastruktur besser nutzen.

Auch die Bahn wird für viel Geld ausgebaut. Der Ausbauschritt 2035 kostet fast 13 Milliarden Franken. Plädieren Sie für ein Umdenken?
Jedes der Ausbauvorhaben muss noch einmal angeschaut werden. Die Diskussionen drehen sich immer nur um Investitionen, aber nie um den Nutzen. Dasselbe gilt für den Güterverkehr. Würden wir dort auf den kleinräumigen Verkehr mit Einzelwagen und die ganze Rangiererei verzichten, hätten wir schon vieles an Kapazität gewonnen. Beim Güterverkehr sind die Masse und die Distanz entscheidend, damit sich die Schiene lohnt. Sonst ist die Strasse besser, wenn die Lastwagen elektrisch oder mit Wasserstoff betrieben sind. In der Schweiz haben wir weder das eine oder das andere. Dafür ist der alpenquerende Güterverkehr mit der Neat eine Erfolgsgeschichte. 


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Könnten Projekte wie Cargo Sous Terrain (CST) eine Lösung sein?
CST ist rein ökonomisch nicht tragbar. Hinzu kommt: Wir haben doch genügend Kapazitäten. Wenn der Lastwagen sauber fahrt, haben wir doch in der Nacht genügend Platz auf der Strasse. Nun gibt es das Fahrverbot für Lastwagen in der Nacht, aber warum? Letztendlich ist das Protektionismus für die Bahn. Fahren Lastwagen erst einmal CO2-neutral, braucht es das nicht mehr.

Ihre Pläne gehen deutlich weiter, als es die Schweizer Politik diskutiert wird. Ist dort die Dringlichkeit des Themas angekommen angesichts des Klimawandels?
Nein. Es geht ja kaum etwas. Wir machen immer noch die allerkleinsten Schritte. «Der Höhlenbewohner bewegt sich erst, wenn der Bär vor der Höhle steht», könnte man das umschreiben. Die positiven Entwicklungen kommen nicht aus der Politik. Hätten wir Elon Musk mit Tesla nicht gehabt, wäre die deutsche Autoindustrie beim Thema Elektromobilität nicht so weit, wie sie es heute ist. 

Sie sind Aufsichtsratsvorsitzender der privaten österreichischen Bahn Westbahn. In der Schweiz hingegen ist private Konkurrenz nicht erwünscht, das hat das BAV gerade wieder klargestellt. Müsste sich das ändern?
Das Schweizer System ist hervorragend. Aber Wettbewerb gibt es nicht, das ist eine Farce. Mit der Westbahn feiern wir nun das 10-jährige Jubiläum. Es war und ist ein sehr ungleicher Kampf gegen den früheren Monopolisten. Die ÖBB ist aber dank uns viel besser gewonnen. An den Grundproblemen der Bahn ändert sich damit allerdings nichts. Ob der Wettbewerb etwas bringt? Im Güterverkehr beispielsweise hat die Liberalisierung die Stellung der Bahn nicht verbessert.


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Wie meinen Sie das?
Der Güterverkehr ist seit einiger Zeit liberalisiert. Private Anbieter sind schnell in den Markt gedrängt und haben sich die Filetstücke geschnappt – etwa Kerosin-Züge, deren Preise in der Folge um die Hälfte sanken. Einen solchen Zug zu produzieren, ist auch einfach. Aber das Grundproblem des Güterverkehrs in Europa ist, dass die Bahn auf Personenverkehr ausgelegt ist. Darum sind die Züge auch so kurz. In den USA fahren 5 Kilometer lange Güterzüge. Damit wird Geld verdient!

Trotzdem bezeichnen sie die Neat als Erfolgsgeschichte.
Ja, aber die war auch nie nur ein Güterverkehrsprojekt. Sie hat dem Kanton Wallis und dem Tessin mehr gebracht als dem Güterverkehr. Wir hatten in der Schweiz ein grosses Glück, das ich einmal in einem Artikel mit dem Titel «Lob dem Waldsterben» beschrieben habe. Dieser Diskussion verdanken wir die Bahn 2000. Für mich ist noch heute das grösste politische Wunder, dass wir diesen riesigen Ausbau so schnell hingekriegt haben. Heute diskutieren wir 10 Jahre lang über Mobility Pricing.

Braucht es das Mobility Pricing?
Ja. Ich rede von monetären Anreizen. Sonst können wir die Strassen gar nicht finanzieren. Werden diese Anreize intelligent ausgestaltet, lassen sich auch die Spitzen brechen. 


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Müsste auch die Nutzung der Bahn in ein Mobility Pricing einbezogen werden? Economiesuisse etwa fordert die Abschaffung des GA.
Ich staune über diese Diskussionen. Das GA ist doch schon lange eine Form von Mobility Pricing. Natürlich gibt es ein paar Pendler zwischen Zürich und Bern, die das GA schnell rausschlagen. Aber so doof sind die Bahnen nicht. Die wissen schon, wie die Leute reisen, und ganz viele schlagen das GA nie raus, sondern leisten es sich alleine wegen dem Komfort. Viele Verkehre werden als Folge des Ersatzes fossiler Treibstoffe teurer werden. Nicht immer schadet das. Ich habe letztens den Satz gelegen, es bestehe das Risiko, dass ein Flug von Paris nach Rom künftig doppelt so teuer sei und 70 Euro kosten werde. Das muss man sich mal vorstellen. Früher, als wir City Night Line lancierten, kostete ein Flug von Brüssel nach Zürich 1300 Euro. 

Wie hat die Westbahn die Krise miterlebt?
Glücklicherweise wurden wir in die Notprogramme der Regierung eingebunden. Weil wir einen grossen Teil unsere Flotte an die Deutsche Bahn verkaufen konnten, die Kapazitätsprobleme hatte, hatten wir keine Liquiditätsprobleme. Das hat zeitlich bestens gepasst.

Nun kauft die Westbahn beim chinesischen Hersteller CRRC Züge ein. Sie wurden deshalb schon als «Türöffner für die Chinesen» bezeichnet.
Wir machen mit der Westbahn keine Geopolitik. Wenn man eine private Bahn ist und unter seit Jahren unter unglaublichem Druck steht, wenn man wegen ungleichen Regeln im Wettbewerb mehr Geld für Anwälte als für Marketing ausgeben muss und private Eigentümer hat, dann schlägt man zu, wenn Züge offeriert werden, die ein Drittel günstiger sind als die bisherigen. Wir kaufen aber nicht, sondern mieten vier Züge, die frühestens 2023 im Einsatz stehen werden.

Die Westbahn will auch ins Ausland expandieren. Wohin wollen sie künftig fahren?
Wir wollen von Salzburg weiter nach München fahren, und zwar möglichst schnell. Ein weiteres Ziel ist zudem Budapest, auch das macht Sinn. Wir haben 15 Züge und kriegen noch vier, das ist nicht viel. Deshalb müssen wir unsere Umläufe genau anschauen und optimieren.


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Es wird die Befürchtung geäussert, dass der Taktverkehr anderer Züge nicht mehr möglich ist, wenn etwa die Westbahn nach München fährt und deshalb vereinzelte Trasse nicht mehr möglich sind. 
Da gibt es genaue Regeln. Unser kleines, aber sehr kompetentes Team versucht, funktionierende Trassen zu finden, die wir früh beantragen. Genau für solche Fragen ist es wichtig, dass es unabhängige Instanzen im Wettbewerb gibt. 

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