Eine Auswertung neuer Zahlen zeigt: In den letzten Jahren hat die SBB vor allem im Kanton Bern Personal aufgebaut, wo ihre Verwaltung angesiedelt ist. In anderen Kantonen hingegen gab es einen starken Abbau. Schafft die SBB Stellen vor allem in der Bürokratie? Die Bahn verteidigt sich.
von Stefan Ehrbar
20. Juni 2022
Erstmals seit dem Jahr 2016 nahm der Personalbestand der SBB in den Jahren 2021 und 2021 wieder zu. Gut 28’000 Menschen arbeiten für die Bahn und ihre Gütertochter SBB Cargo. Neue Daten, welche die Bahn publiziert und Mobimag analysiert hat, zeigen: Das Wachstum fand nicht gleichmässig verteilt in der Schweiz statt. In gewissen Kantonen nahm der Personalbestand stark zu, in anderen sank er ebenso deutlich.
Besonders hervor sticht das Beispiel des Kanton Bern. Hier verantwortet die SBB gemessen an der Grösse des Kantons einen relativ kleinen Anteil des öffentlichen Verkehrs, weil die S-Bahn Bern von der Konkurrentin BLS betrieben wird. Trotzdem nahm die Zahl der Stellen in den letzten Jahren in kaum einem anderen Kanton so stark zu wie hier. Die Vermutung liegt nahe, dass diese Stellen am Hauptsitz der SBB in Bern-Wankdorf aufgebaut wurden – und damit in der Verwaltung.
Das denken mittlerweile auch die Kantone so. Sie ärgern sich über Kostensteigerungen im Regionalverkehr, welche die SBB in den nächsten Jahren verrechnen will – ohne dass mehr Leistung angeboten wird. «Das ist eine Entwicklung, die uns grosse Sorgen bereitet», sagte unlängst ein Sprecher des Zürcher Verkehrsverbund (ZVV) den Tamedia-Zeitungen. Kantonsvertreter monieren laut dem Bericht, dass am SBB-Hauptsitz in Bern ein «übermässig aufgeblähter Verwaltungsapparat» existiere.
Dabei versprach SBB-Chef Vincent Ducrot bei Amtsantritt, das Kerngeschäft zu stärken. Wie passt das zusammen – und ist die Verwaltung tatsächlich gewachsen? Zunächst empfiehlt sich ein Blick auf die Statistik.
Am meisten neue Stellen wurden zwischen 2019 und 2021 im Kanton Genf geschaffen. Dort ging in dieser Periode mit dem Léman Express ein grosses Bahn-Erweiterungsprojekt in Betrieb, mit dem das Bahnangebot am Genfersee und im grenznahen Frankreich deutlich ausgebaut wurde. Ebenfalls zum Einzugsgebiet des neuen Léman Express gehören Teile des Kanton Waadt, wo ebenfalls viele Stellen geschaffen wurden. Danach folgen die Kantone Basel-Stadt und Bern.
Ein Blick, der etwas weiter zurückreicht, bestätigt dieses Bild. Im Vergleich des Stellenbestands Ende 2016 mit Ende 2021 schwingt der Kanton Waadt in Sachen Stellenwachstum obenauf - dicht gefolgt vom Kanton Bern. Deutlich abgebaut hat die SBB hingegen in den Kantonen Glarus, Uri, Fribourg und Luzern. Wird ein noch längerer Zeitraum zwischen 2013 und 2021 analysiert – der längste, für den Daten vorliegen – zeigt sich gar, dass die SBB fast nirgends mehr Stellen geschaffen hat als in ihrem Hauptsitz-Kanton Bern mit 19,7 Prozent Zuwachs. Nur im Kanton Solothurn wurde mit 39,0 Prozent ein höheres Stellenwachstum verzeichnet, was allerdings vor allem in der Verlegung des Hauptsitzes von SBB Cargo von Basel nach Olten im Jahr 2014 begründet ist.
Bläht die SBB entgegen ihren Versprechungen also ihren Hauptsitz auf? Die Bahn widerspricht. «Der Stellenaufbau in Bern hängt nicht zwingend mit der Verwaltung zusammen», sagt Sprecher Martin Meier. Der Anstieg ergebe sich durch den Bedarf an Fachkräften beim Personenverkehr – also für die Zugführung, Kundenbegleitung und den Zugunterhalt – und die Infrastruktur, also Baukräfte und Ingenieure für Ausbauten des Ausbauschritts 2025 sowie bei für das Kerngeschäft relevanten IT-Funktionen. «Dieser Anstieg erfolgte hauptsächlich in den Kantonen Bern, Zürich, Waadt, Solothurn und Genf.»
Zwischen 2016 und 2021 seien 1000 Vollzeitstellen im Zusammenhang mit der Stärkung des Kerngeschäfts geschaffen worden. Das entspreche 85 Prozent der aufgebauten Stellen. In den Verwaltungsbereichen hingegen hätten die neuen Anforderungen aus dem Kerngeschäft durch Zentralisierungen und ein konsequentes Kostenmanagement «mit stabilem Personalbestand» bewältigt werden können. «Auch in Zukunft soll das Kerngeschäft weiter gestärkt werden», so Meier. Durch ein konsequentes Kostenmanagement sollen die Kosten im Griff gehalten werden – «mit Fokus auf den Verwaltungsbereich».
Dass so viele Stellen im Kanton Uri gestrichen wurden, liege daran, dass der Güterverkehr-Standort Altdorf im Jahr 2021 geschlossen worden sei - und an der Kooperation mit der Südostbahn auf der Gotthard-Panoramastrecke. In den Kantonen Luzern und Fribourg wiederum hätten Zentralisierungen zur Abnahme geführt. Wohin diese Stellen wanderten, verrät Meier nicht – dass sie nach Bern gingen, scheint wahrscheinlich.
Auch wenn die Zahl der Verwaltungsstellen damit insgesamt nicht erhöht wurde, wurde doch die Bedeutung des Hauptsitzes gestärkt und es hat eine Konzentration von Arbeitsstellen dort stattgefunden. Damit bewegt sich die SBB im Spannungsfeld zwischen Effizienzsteigerung durch Zentralisierung im Hauptsitz im Wankdorf und einer von der lokalen Politik gewünschten dezentralen Organisation – schliesslich möchte jeder Kanton möglichst viele Arbeitsplätze bei sich wissen. Die aktuelle Entwicklung deutet nicht darauf hin, dass die SBB diesem Wunsch entsprechen kann und will.
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