Vom Führerstand in die Reinigung – Wenn Lokführer psychisch erkranken

Psychische Erkrankungen können im Führerstand zum Problem werden. Visualisierung: SBB

Depressionen, Burn-Out, Posttraumatische Belastungsstörungen: Psychische Erkrankungen können beim Personal der SBB zu sicherheitsrelevanten Fragen werden. Wie die Bahn damit umgeht – und wie sie scheinbar unsichtbare Erkrankungen zu erkennen versucht.

Mobimag-Redaktion
31. Mai 2021

Markus* ist 39 Jahre alt. Als sich sein Traum, Lokführer zu werden, erfüllt, stehen psychische Probleme nicht im Vordergrund. Er und die zuständigen Ärzte, welche seine Tauglichkeit beurteilen, kommen zum Schluss, dass er bei der SBB als Lokführer arbeiten kann.

Die Jahre verstreichen und Markus merkt immer stärker, dass er mit seiner Psyche hadert. Er erkrankt an Depressionen und verletzt sich manchmal selbst. Schnell wird ihm und den Ärzten klar, dass er nicht mehr im Lokführerstand Platz nehmen kann.

Markus ist nicht allein. Genaue Zahlen hierzu gibt es nicht, sagt SBB-Sprecherin Ottavia Masserini – aus Datenschutzgründen. Laut ihr ist der Anteil von Langzeitausfällen aus körperlichen oder psychischen Gründen bei der Altersgruppe der 35- bis 39-Jährigen am ausgeprägtesten. Masserini führt dies auf die typischen Mehrfachbelastungen wie beispielsweise berufliche Karriere, Weiterbildung, Familiengründung oder Kauf von Wohneigentum in dieser Phase zurück.

Auf die Strasse setzt die SBB ihre Mitarbeitenden nicht. Sie setzt darauf, dass psychisch erkranktes Personal nach einer gewissen Zeit mit Unterstützung durch Fachpersonen wieder an den angestammten Arbeitsplatz zurückkehren kann. Ist dies nicht der Fall, kommen Reintegrationsmassnahmen zum Zug, sagt Masserini.

So wie bei Markus. Er ist heute nur noch nachts tätig und fährt Züge ohne Passagiere an Bord. Wäre Markus älter als 50 Jahre gewesen, wäre eine andere Lösung zum Zug gekommen: Die Textilreinigung namens «SBB Anyway». Sie bietet rund 120 Mitarbeitenden über 50 Jahren, die ihren Beruf aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben können, einen Arbeitsplatz.

Einer von ihnen ist Roland Klodel, den die SBB in einem Beitrag anfangs letzten Jahres porträtiert hat. 17 Jahre lang arbeitete er in der Wagenreinigung als Teamleiter. «Es ist schwierig, sich selbst einzugestehen, dass es nicht mehr geht», sagt Klodel im Beitrag.

Fälle wie jene von Klodel von aussen zu erkennen, ist nicht einfach. Denn die Psyche gestaltet sich oft als Blackbox. «Der Arbeitsplatz ist oft der letzte Ort, an dem psychische Beeinträchtigungen erkannt werden», sagt Masserini.

Zwar werde beim Bewerbungsverfahren eine medizinische Tauglichkeitsuntersuchung durchgeführt. Bei dieser werde mitunter auf psychische Vorerkrankungen und akute psychische Erkrankungen eingegangen. «Wenn sich in der Anamnese Hinweise auf eine psychiatrische Erkrankung ergeben, bei der ein erneutes Auftreten oder eine Progredienz nicht ausgeschlossen werden kann, oder wenn sich anlässlich der medizinischen Untersuchung entsprechende Anzeichen feststellen lassen, besteht eine Untauglichkeit.»

Je nach Personalkategorie und Alter müssten die Mitarbeitenden im Sicherheitsbereich alle fünf Jahre, drei Jahre oder jährlich eine periodische Tauglichkeitsuntersuchung absolvieren.

Dennoch kann es bei einem solchen Verfahren passieren, dass Menschen mit psychischen Problemen ihr Problem selbst nicht erkennen, es daher als nicht erwähnenswert erachten oder nicht transparent kommunizieren.

Masserini sagt, dass es deshalb hilfreich ist, wenn sich Mitarbeitende selbst melden. Zum anderen liege es aber auch in der Pflicht der Führungskräfte, die Mitarbeitenden anzusprechen, wenn sie Auffälligkeiten wahrnehmen. «Wichtig ist: Dabei geht es nie um Diagnosen, sondern Verhalten und Auswirkungen auf die berufliche Tätigkeit.»

Die SBB setze dabei auf Früherkennung und gehe dabei gemäss den folgenden Schritten vor: Auffälligkeiten wahrnehmen, diese ansprechen, Massnahmen ableiten und rasch Unterstützung holen.

An Fachleute können sich Betroffene auch selbst wenden, wie Masserini sagt. Die SBB verfügt über eine interne Anlaufstelle, die Hand bietet, wenn das Personal Hilfe benötigt. Zudem leiste SBB Care bei Ereignissen wie beispielsweise einem Eisenbahnunglück, einem Arbeitsunfall oder einer Bedrohung Unterstützung – für Kundinnen, Angestellte und Angehörige.

Nebst der Auseinandersetzung mit spezifischen Fällen setzt die SBB auch auf Prävention, Sensibilisierung und Entstigmatisierung psychischer Beeinträchtigungen. «Wir schaffen ein Umfeld, in dem offen darüber gesprochen werden kann», sagt Masserini. Dies passiere unter anderem über Porträts von Betroffenen SBB-Mitarbeitenden, die für alle öffentlich auf der Website einsehbar sind.

*Name und Alter der Redaktion bekannt.

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