
Ein Plädoyer für mehr Tageszüge im internationalen Bahnverkehr ab der Schweiz zu weiteren Metropolitanräumen, um die gesetzten Klimaziele im Verkehr zu erreichen.
Die SBB dürfte durchaus aktiver werden, speziell Richtung Westen.
von Kaspar Woker,
3. Februar 2025
Mitte Dezember referierte Christa Hostettler, Direktorin des Bundesamts für Verkehr (BAV), vor Parlamentarierinnen und Mitglieder der Vereinigung SwissRailvolution zur «Perspektive Bahn 2050». Für einmal ging es nicht um Milliarden Franken und darum, welche Bauwerke in den nächsten 30 Jahren realisiert werden können, sondern um die «räumliche Konkretisierung» späterer Schritte. In der Dokumentation sind mir zwei Aspekte aufgefallen. Die Vernetzung der ineinandergreifenden Siedlungsräume und das Gewicht, das dem Nahverkehr bis 50 km zugeordnet wird, heute die Domäne des miV. Über längere Distanzen durch die Alpen wie durchs Mittelland erringt die Bahn einen höheren Modalsplit. Dies gilt über weite Distanzen sogar zwischen Anfangs- und Endpunkt einer Reise, nicht nur bahnhofbezogen. Das BAV sieht daher den grösseren Handlungsbedarf im Kapazitätsausbau des Schienennetzes, weniger als in kompetitiver Geschwindigkeit und Reisezeitverkürzung. Dem Ausbau der Feinverteilung, auch Tram und Bus sei der Vorrang zu geben.
Die Frage, ob und wie die «Perspektive Bahn 2050» die vom Bund definierten Klimaziele beeinflusst, bleibt noch unbeantwortet. Das BAV setzt primär auf Vermeiden von (Auto-)Fahrten im Nahverkehr, respektive Umsteigen auf den öV, was zu einer Reduktion des CO2-Ausstosses führen müsste. Jede Reise kann als Person x gefahrene Kilometer = Pkm gemessen werden. SwissRailvolution ist der Ansicht, dass auf Langstrecken (für Schweizer Verhältnisse ≥80 km) mehr Personenkilometer generiert werden als im Nahverkehr insgesamt. Deshalb sollte die Stärke der Schiene genutzt werden. Das heisst dichte und vor allem schnellere Verbindungen zwischen den Metropolitanräumen. Diese Stossrichtung bleibt ein Kernanliegen von SwissRailvolution.
Hier ist ein Blick auf den Freizeitverkehr angezeigt, der mehr als die Hälfte aller Personenfahrten ausmacht. Die Reise – in der Regel über weite Distanzen oder per Flug – generiert im Tourismus den höchsten CO2-Ausstoss. Die Bahnen haben dies europaweit erkannt. Gilt dies auch für die SBB? Sicherlich für Reisen auf inländischen Achsen. Genf – Bern – Chur, Zürich – Lenzburg – Visp (Domodossola), Basel – Göschenen – Locarno und andere mehr. Führt die Reise über die Grenze auferlegt sich die SBB eine unverständliche Zurückhaltung.
Verlagerungspotenzial vorhanden – Angebote fehlen
Das Potenzial für Tagesfahrten von sechs bis neun Stunden Dauer ist vorhanden. Allerdings bei zuverlässigem, pünktlichem Verkehren von A-Z des im Fahrplan versprochenen Angebots. Die SBB betont international stets die Kooperationen mit DB, ÖBB und FS. Jenseits der Grenze haben die Partner das Sagen. Daneben streicht Lyria, die SNCF/SBB Tochter unverändert ihre Destination Paris heraus. Doch Frankreich besteht nicht nur aus der Cité des Lumières, möchte man in Erinnerung rufen. Viel Neues per 2025 wurde weder an der gut besuchten Tagung der Bahnjournalisten im Oktober zum Thema Internationaler Verkehr, noch an der gross aufgezogenen Präsentation FS/SBB in Milano Centrale geboten.
Die Flaggschiffe im internationalen Verkehr von SBB (Giruno/Astoro), erreichen Höchstgeschwindigkeiten von 250 km/h. Zu langsam um auf den Hochgeschwindigkeitsnetzen zugelassen zu sein. Rom, Marseille, Montpellier, Barcelona, Bordeaux, Luxemburg, Brüssel, Amsterdam lassen grüssen. Diese Metropolitanräume, aber auch südliche Ferienziele, sind ab der Schweiz nur mit Umsteigen erreichbar.

Ein Blick auf die Graphik lässt erahnen, dass das Verlagerungspotenzial noch erheblich grösser sein könnte als dies das BAV per 2050 einschätzt.
Die «neuen Verbindungen» gemäss Graphik lassen Fragen aufkommen. Ja, der Metropolitanraum London stellt ein Wunschziel für eine direkte Verbindung dar. Spezifisches Rollmaterial ist gefragt und die Abfertigungsanlagen aller Halte-Bahnhöfe müssen den britischen Einreisevorschriften genügen. Andernfalls ist in Lille-Europe ein Zwischenstopp einzulegen, um dort eine flughafenähnliche Zollkontrolle über sich ergehen zu lassen. Dies war ein Grund für das Verschwinden der Eurostar-Züge ab London in die französischen Alpen. Zudem, Eurostar wird nie ‘Schweiz-fähige’ Triebzüge beschaffen, nur um bis Basel SBB vorstossen zu können. Für Amsterdam/Brüssel, via Strassburg – Luxemburg oder via «Rheinschiene» liessen sich sicher Geschäfts- wie Genussreisende von einer Tagesfahrt überzeugen, sofern nur die Metropolitanräume Zürich (und nicht nur Basel) mit Strassburg verbunden wären. Ab der Elsass-Metropole reist man auch direkt nach Lille-Europe, inklusive Anschluss nach London. Damit liesse sich der lästige Bahnhofwechsel in Paris vermeiden.

Definitiv unterschätzt wird das Potential Provence/Languedoc, insbesondere ab der französischen Schweiz. Ein attraktives Bahnangebot plus Mietwagen kann angesichts der chronisch verstopften ‘Autoroutes’ durchaus eine Verlagerung bewirken. Zudem ist die Darstellung in obiger Karte zu ändern, denn alle südwestlichen Ziele sind per Bahn via Lyon erschlossen. Das bringt der Achse Genf – Lyon ein Potential in der Grössenordnung von München oder Österreich.
Die Frage der Nachtzüge mit ihren relativ kleinen Transportkapazitäten sei hier bewusst ausgeklammert, zumindest bis sich diese durch eine befriedigende Qualität auszeichnen. Fehlendes Rollmaterial, Umleitungen mit grossen Verspätungen und Ausfälle treiben auch Aficionados zum Flug, es sei denn es
existieren parallel getaktete Tagesangebote auf der Schiene wie die Railjets
nach Wien. Jede Nachtzugdestination sollte parallel mit einer hochwertigen
Tagesverbindung erreichbar sein, inklusive intelligenter Kombitickets.
Ohne Umsteigen nach Lyon oder Strassburg, eine Utopie?
Verschiedene Metropolitanräume sind mit Strassbug oder Lyon verbunden. Diese Zentren direkt aus der Schweiz direkt zu erreichen, muss im Interesse der SBB sein, was allerdings nicht ganz einfach umzusetzen ist. Für Genf – Lyon bestimmt und finanziert die Region Auvergne-Rhône-Alpes (AURA) die Transport-Express-Régionaux (TER), 10x täglich mit 5-6 Zwischenhalten und meist sehr beschränktem Platzangebot. Ein überlagertes Fernverkehrskonzept ist erwünscht. Lausanne – Genève – Bellegarde – Lyon. Triebzüge dazu wären vorhanden. Die kommenden SNCF Oxygène oder die SBB Giruno müssten lediglich je für ein drittes Stromsystem (15kV~, resp. 1.5kv=; für 25kV~ sind beide geeignet) und das
Sicherungssystem (ETCS, resp. KVB) ergänzt werden. Bleibt die gegenseitige Zulassung. Damit stünden die SNCF resp. die SBB in der kommerziellen Verantwortung. Wirtschaftliche Überlegungen sprechen eher für eine Kooperation als im Free-Access. Trotz mühsamer Liberalisierung des französischen Netzes ist auch die Verlängerung des Renfe AVE-Zug Barcelona – Montpellier – Lyon unter der Marke ‘El AVE Catalán’ bis Genf denkbar. Das erinnert an den seinerzeit sehr geschätzen TEE-Zuges Catalan-Talgo. In weniger als sieben Stunden liessen sich die Metropolitanräume Léman, Lyon und Barcelona auf der Schiene verbinden.

Ähnlich stellt sich die Zukunft für Basel – Strassburg. Hier ist die Region Grand-Est federführend. Sie bietet zwar heute das beste TER-Angebot Frankreichs. Die Region hat den Ersatz des in die Jahre gekommenen Rollmaterials (Lok plus Corail-Wagen) in die Wege geleitet. Um zukünftig Basel SBB zu erreichen muss dieses für beide Stromsysteme (25kV~/15kV~), und vorausschauend auch mit ETCS ausgerüstet sein. Oxygène oder Giruno mit V/max. 200/250 km/h wären ausreichend schnell und könnten die Metropolitanräume Zürich/Basel – EuroAirport – Strassburg – Metz – Luxemburg miteinander verbinden. SNCF und SBB müssten sich hier in einer Kooperation finden. Beidseits der Grenze sind die nationalen Player (nicht die Regionen) und unternehmerisches Handeln gefragt, damit der internationale Fernverkehr auch Richtung Westen nicht nur aus TER-Regionalzügen und der TGV-Anbindung an die Gare de Lyon in Paris besteht. Immerhin hat das schweizerische Parlament die 30 Mio. Franken zur Förderung des internationalen Bahnverkehrs freigegeben.
Im Transit durch die Schweiz – vielleicht morgen?
Die ausgebauten Transitrouten durch die Schweiz lassen auch europäische Metropolitanräume näher rücken. Rom – Zürich – Frankfurt oder das Wiederaufleben der Tageszüge München – Zürich – Mailand sowie Paris – Lausanne – Mailand und Mailand – Bern – Strassburg – Brüssel böten für Trenitalia, SNCF sowie SBB oder DB neue Märkte. Bei guten Anschlüssen und zuverlässigem Betrieb brächte dies auch Unterwegs-Regionen wie dem Tessin, Wallis, Berner Oberland, Bodensee touristische Impulse. Trenitalia würde mit ihren hochklassigen Frecciarossa-Zügen in Kooperationen oder im Free-Access ein starkes Zeichen für die SBB und die Schweiz setzen. Nebeneffekt: Weniger Umsteigen in Milano Centrale. Brenner und Mont-Cenis sind 2030 durchbohrt. Die Metropolen beidseits der Alpen werden dannzumal mit Umfahrung der Schweiz durch Frecciarossa oder Italo direkt verbunden. Wohl im Free-Access unter Staatsbahnen, so wie sich heute SNCF, Trenitalia und Renfe einen harten Wettbewerb liefern.
Das Nachfragepotential der Schweiz mag kleiner sein als jenes anderer Länder, doch als fleissigste Bahnfahrer punkten wir in Europa. Das sollte im Markt des internationalen Verkehrs stärker zu Gunsten von mehr und besseren Verbindungen ausgespielt werden. Als Kooperationsbahn dürfte die SBB dabei selbstsicherer vorpreschen und die Kundenbedürfnisse stärker gewichten. Ein besseres Angebot bringt neue Gäste auf die Bahn. Es geht auch darum, die gesetzten Klimaziele zu erreichen. Eben Metropolitanräume zu verbinden für Business-Travel oder Leisure-Trips.
Zum Autor:
Kaspar P. Woker
Mitglied Bahnjournalisten Schweiz, ehemals Manager Tourismus und ÖV.
ktwoker@bluewin.ch
Schreiben Sie einen Kommentar