Marieke Kruit im Interview: «In den Städten wird es für die gleiche Zahl Autos weniger öffentliche Parkplätze zur Verfügung haben»

Marieke Kruit, Direktorin für Tiefbau, Verkehr und Stadtgrün. © Béatrice Devènes

Marieke Kruit ist Berner Gemeinderätin (SP) und zuständig für Tiefbau, Verkehr und Stadtgrün. Im Interview sagt sie, warum die Stadt Bern gegen den Autobahnausbau beim Grauholz ist, warum der Veloverkehr in Bern boomt, wieso eine Preiserhöhung im ÖV nicht zielführend wäre und wie sie die Stromkrise bei Bernmobil beheben will.

von Stefan Ehrbar
11. Januar 2023

Frau Kruit, die Stadt Bern fordert einen Verzicht auf den Autobahnausbau beim Grauholz. Dieser führe zu mehr Verkehr und Emissionen. Was entgegnen Sie der Kritik, dass damit der Stau-Abbau verhindert wird, wovon auch Gewerbetreibende profitieren würden?
Einfach immer mehr Spuren kann keine Lösung sein. In den 1990er Jahren wurde die Grauholzautobahn bereits einmal ausgebaut – auf je drei Spuren. Ganz offensichtlich hat dies das Stauproblem nicht gelöst. Wir brauchen Lösungen, wie wir aus dem Hamsterrad des ständigen Spurausbaus rauskommen. Bevor wir wieder auf mehr Beton setzen, sollten wir es mit einem Verkehrsmanagement, Dosierungssystemen und Temporeduktionen versuchen.

Offenbar ist das Pendeln und der Freizeitverkehr mit dem Auto auch in Bern noch immer sehr attraktiv. Wie lässt sich das ändern?
Das Auto ist für viele ein bequemes Verkehrsmittel, weil sie vor der Haustüre einsteigen und direkt bis zum Zielort fahren können. Wenn es uns gelingt, den öffentlichen Verkehr mit der ersten und letzten Meile noch besser zu erschliessen, machen wir diesen auch in dieser Hinsicht zu einer attraktiven Alternative. Entscheidend ist dafür eine gute Vernetzung der verschiedenen Verkehrsträger.

Ein Ansatz ist Road Pricing. Die Stadt Bern möchte einen Test auf der Monbijou-Brücke durchführen. Wie ist der aktuelle Stand des Projekts?
Die Stadt Bern hat diese Projektskizze beim Bundesamt für Strassen ASTRA zur Untersuchung des Potenzials und der Auswirkungen von Mobility Pricing eingereicht. Anfang Dezember hat das ASTRA entschieden, anderen Eingaben wie derjenigen aus Biel den Vortritt zu geben und unsere Eingabe nicht weiter zu verfolgen. Damit können wir gut leben. Wichtig ist, dass der Ansatz des Mobility Pricing weiterverfolgt wird. Wo genau dies geschieht, ist zweitrangig.

Vor gut einem Jahr sagten sie dem «Bund», die Frage, wie man unerwünschten von notwendigem Verkehr trennen könne, interessiere alle Städte. Was ist im Moment ihre Antwort darauf?
Dass es keine allgemeingültige Antwort auf diese Frage gibt. Wir brauchen vielmehr situative Lösungen, bei denen wir auch die Bedürfnisse des Gewerbes berücksichtigen. Ein guter Kompromiss haben wir zum Beispiel in der unteren Berner Altstadt gefunden: es ist geplant, dass Anwohnende dort künftig in den Parkhäusern parkieren, womit wir öffentlichen Raum freispielen können. Gleichzeitig erleichtern wir so die Anlieferung für Gewerbetreibende. Wann wir diese neue Regelung umsetzen können, ist wegen hängiger Beschwerden aber noch offen.

«Wir müssen uns sicher von der heutigen Menge von Autos im Privatbesitz verabschieden. Die Autos, die es dann noch gibt, werden geteilt und sie werden elektrisch fahren», sagt Florian Schreier vom VCS beider Basel zur künftigen Ausgestaltung des Verkehrs. Teilen Sie diese Ansicht?Ja, ich bin überzeugt, dass es in diese Richtung gehen wird, besonders in den städtischen Gebieten. Schon heute gibt es mit dem ÖV, mit dem Veloverleihsystem und Mobility gute und schnelle Alternativen zum Privatauto. Klar ist auch, dass es in den Städten für die gleiche Zahl Autos künftig weniger öffentliche Parkplätze zur Verfügung haben wird. Denn die Nutzungsansprüche an den öffentlichen Raum sind heute vielfältiger als noch vor 20 Jahren. Auch das spricht dafür, dass wir uns vermehrt platzsparenden Sharing-Angeboten zuwenden.

Wer soll künftig noch ein privates Auto besitzen dürfen?
Wir schreiben den Leuten nicht vor, wie sie sich fortbewegen sollen. Vielmehr wollen wir sie mit guten Angeboten von den Alternativen zum Privatauto überzeugen.

Wie stehen Sie zur Idee von Quartierparkhäusern, wie sie beispielsweise in Basel forciert werden und die Blaue-Zone-Parkplätze ersetzen sollen?
Das ist sicher ein interessanter Ansatz. Ihm liegt die Idee zugrunde, dass der beschränkte öffentliche Raum in einer Stadt sinnvoller genutzt werden kann, als ein Auto darauf abzustellen. Diesen Ansatz verfolgen wir auch in Bern. Wenn wir die bestehenden Parkgaragen besser auslasten können und dadurch öffentlicher Raum frei wird, haben wir schon viel gewonnen.

Bern will zur «Velo-Hauptstadt» werden und den Anteil am Verkehr bis 2030 auf 20 Prozent erhöhen. Wie hoch ist dieser im Moment? Können Sie das Ziel per 2030 erreichen?
Der Anteil des Veloverkehrs, der Modal Split, wird mit dem Mikrozensus Mobilität gemessen. Die letzte Erhebung erfolgte 2015 und zeigte für Bern bereits einen Wert von 15% an. Aktuelle Zahlen wird der nächste Mikrozensus im Frühjahr 2023 bringen – wir sind gespannt darauf. Unser städtisches Messnetz registrierte 2022 deutlich mehr Velofahrten als 2015. Insofern sind wir optimistisch, dass wir gut unterwegs sind.

Während der Coronakrise nahm der Veloverkehr in vielen Städten zwar zu, aber dieses Wachstum scheint nicht nachhaltig gewesen zu sein. Wie sieht das in Bern aus?
Wir haben keine Anhaltspunkte, dass der Veloverkehr wieder abnehmen würde. Die Bernerinnen und Berner setzen immer mehr aufs Velo – unabhängig der Coronakrise. 2022 ergab unser städtisches Messnetz sogar eine stark überdurchschnittliche Zunahme um rund 13%, was dem höchsten gemessenen Wert seit Beginn der flächendeckenden Aufzeichnungen im 2014 entspricht.

Wo orten Sie in Bern die grössten Schwierigkeiten für das Velo? Wie wollen Sie diese beheben?
Im Moment beschäftigt uns besonders die Erstellung von genügend Veloabstellplätzen im Bereich des Bahnhofs Bern. Daneben ist und bleibt die Erstellung eines durchgängigen, komfortablen und sicheren Routennetzes eine grosse Hauptherausforderung für die nächsten Jahre. Wir haben hier zwar schon viel erreicht. Damit sich aber von Jung bis Alt alle auf dem Velo sicher unterwegs fühlen, bleibt auch noch viel zu tun. Wir gehen weiter wie bisher und schaffen Schritt für Schritt die nötige Infrastruktur. Investitionen in den Veloverkehr lohnen sich doppelt: Für den individuellen Nutzen, aber auch für die Stadt. Das Velo verbindet den Umweltnutzen mit persönlicher Freiheit, und das alles zu verhältnismässig geringen Kosten.

Bei der Frage, wie der Strassenraum verteilt wird, kommt es zusehends nicht nur zu einer Konkurrenz zwischen Velo und Auto, sondern auch zwischen Velo und ÖV. Wie gehen Sie mit dieser Situation um? Welche Grundsätze verfolgen Sie hierbei?
Das Velo und der ÖV sind sich gegenseitig ergänzende Verkehrsträger des Umweltverbunds. Es wäre falsch, sie gegeneinander ausspielen zu wollen. Das Velo ist zwar schnell, platzsparend und ökologisch. Doch es ist nicht für alle Situationen und für alle Verkehrsteilnehmer geeignet. Ohne ÖV geht es nicht – er ist neben dem Fussverkehr das flächeneffizienteste Verkehrsmittel.

Muss auch der ÖV aus ihrer Sicht Platz abgeben für das Velo?
Nein, der ÖV ist und bleibt das Rückgrat der umweltverträglichen Mobilität. Er soll deshalb grundsätzlich nicht Platz abgeben. Aber es gibt enge Strassenabschnitte, wo es notwendig ist, dass sich ÖV und Velos einen Fahrstreifen teilen. In der Stadt Bern haben wir mit diesen sogenannten Umweltspuren gute Erfahrungen gemacht.

Der ÖV ist in Bern anders als in anderen Städten erst wieder bei etwa 90 Prozent des Vorkrisenniveaus, auch wegen des verbreiteten Homeoffice. Wie wollen Sie die Passagiere zurück bringen?
Die Nutzung des ÖV hat sich verändert. Es ist richtig, dass wir in Bern den Vor-Corona-Stand noch nicht ganz erreicht haben bei der ÖV-Benutzung. Das dürfte auch mit der hohen Verbreitung des Homeoffice in den Verwaltungen und den Bundesbetrieben zusammenhängen, die in Bern bedeutende Arbeitgebende sind. Aber der Freizeitverkehr hat zugenommen. Neben der Zunahme des Homeoffice ist bei den Berner Auslastungszahlen auch zu berücksichtigen, dass wir 2022 grosse Baustellen im Breitenrain- und Monbijouquartier hatten, welche einen Busersatzbetrieb erforderten. Dieser wirkt sich erfahrungsgemäss negativ auf die ÖV-Benutzung aus. Insofern sollten sich die Zahlen 2023 wieder normalisieren. Zudem sind wir zusammen mit der Region und dem Kanton laufend daran, das ÖV-Angebot zu verbessern.

Bernmobil befindet sich auch wegen dem Modell der Strombeschaffung in einer schwierigen Situation. Bernmobil beschafft den Strom zu aktuellen Preisen am Markt via EWB – eine Lösung, die überspitzt formuliert die Nachteile des Marktes mit jenen einer politisch gesteuerten Firma kombiniert. Welche Lösung sehen Sie hier?
Wir prüfen im Moment ohne Scheuklappen, was angesichts der aktuellen Bedingungen das beste Strombezugsmodell für die Zukunft ist. Die sehr hohen Strompreise sind nicht nur für Bernmobil eine Herausforderung, sondern für unzählige Firmen im ganzen Land. Vergessen wir nicht: Die aktuelle, finanziell schwierige Situation bei Bernmobil ist nicht primär wegen der hohen Strompreise entstanden, sondern wegen Corona.

War das Beschaffungsmodell im Nachhinein ein Fehler?
Im Nachhinein ist man immer schlauer. Wer von uns wäre aber vor einem Jahr davon ausgegangen, dass gegen ein europäisches Land Krieg geführt würde? Als 2019 das heutige Bezugsmodell ausgearbeitet wurde, war die heutige Situation nicht absehbar. Ebenso wenig ist absehbar, was in zwei Jahren sein wird. Wer zum Beispiel heute einen langfristigen Bezugsvertrag ausschreiben muss, läuft Gefahr, letztlich deutlich höhere Kosten übernehmen zu müssen. Der Gemeinderat vertritt die grundsätzliche Auffassung, dass es sinnvoll ist, wenn die beiden städtischen Unternehmen Bernmobil und ewb im Rahmen des geltenden Wettbewerbsrechts wo möglich und sinnvoll miteinander kooperieren.

Wie können die Mehrkosten kompensiert werden?
Unmittelbar können die Mehrkosten nicht kompensiert werden. Es ist aber wichtig, dass die höheren Strompreise bei der neuen Angebotsvereinbarung berücksichtigt werden. Grundsätzlich sieht das System der Finanzierung des öffentlichen Verkehrs vor, dass Transportunternehmen und Besteller die Abgeltung als Differenz zwischen geplanten Kosten und geplanten Erträgen jeweils für zwei Jahre im Voraus vereinbaren. Fallen die Kosten in einem Geschäftsjahr – so wie aktuell – höher aus, kann ein Defizit resultieren. Ein solches Defizit kann durch positive Ergebnisse in anderen Jahren wieder kompensiert werden.

Braucht es aus Ihrer Sicht eine Preiserhöhung im ÖV per Dezember 2023 und wenn ja, in welchem Umfang?
Für diese Frage ist die ÖV-Branche zuständig, insbesondere der Tarifverbund. Bernmobil kann die Billettpreise nicht kurzfristig und eigenmächtig anpassen. Höhere Billettpreise wären auch nicht im Interesse des Verlagerungsziels. Wir wollen die Menschen zum Umsteigen vom Auto auf den nachhaltigen Verkehr ermuntern.

Wie stehen Sie zum Projekt einer unterirdischen RBS-Verlängerung vom Bahnhof via Inselspital nach Köniz?
Diese Lösung wird zurzeit mit einer Zweckmässigkeitsbeurteilung vertieft geprüft, was ich begrüsse. Den Lead beim Projekt hat aber der Kanton. Unbestritten ist, dass das Inselspital als wichtiger Wirtschaftsfaktor und Arbeitsplatzstandort eine gute ÖV-Erschliessung braucht.

Wie bewegen Sie sich selbst fort?
In der Stadt bin ich meist mit dem E-Bike unterwegs, oft auch mit Bus und Tram. Für weitere Strecken setze ich auf den Zug. Bei Bedarf nutze ich auch Carsharing. Man könnte mich also als klassische Nutzerin des kombinierten Mobilitätsangebots bezeichnen.

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