Und dann noch den Grimseltunnel für 300 Millionen Franken: Wie der Föderalismus den sinnvollen Bahnausbau ad absurdum führt

Noch ein Tunnel in den Bergen? Lieber nicht. Bild: Tom Dahm / Unsplash

Die Verkehrskommission des Ständerates will den Grimseltunnel im Schnellzugtempo durchpeitschen. Projekten wie dem Luzerner Durchgangsbahnhof hingegen droht aus finanziellen Gründen die Etappierung. So werden klima- und verkehrspolitische Ziele ad absurdum geführt. Ein Kommentar.

von Stefan Ehrbar
14. Februar 2023

Es tönt verlockend: Für nur 300 Millionen Franken könnte der 22 Kilometer lange Grimsel-Bahntunnel zwischen Innertkirchen (BE) und Oberwald (VS) gebaut werden. Dies, weil die nationale Netzgesellschaft Swissgrid auf einem Teil der Strecke sowieso einen Tunnel baut, um ihre Hochspannungsleitungen unterirdisch zu führen. Der einzige Haken: Es müsste schnell gehen, denn Swissgrid wartet nicht auf die Politik. Der Tunnel müsste an den üblichen Prozessen für den Bahnausbau vorbei geschleust werden. Noch dieses Jahr bräuchte es einen verbindlichen Entscheid zur Finanzierung.

So argumentierte der Walliser Mitte-Ständerat Beat Rieder für sein Anliegen – und die Verkehrskommission des Ständerates folgte ihm anfangs Februar. Der Entscheid fiel mit 5 zu 5 Stimmen mit einem Stichentscheid, den Kommissionspräsident Hans Wicki (FDP) fällte – zufälligerweise Verwaltungsrat der Grimselbahn. 

Das ist ein fatales Signal, und es ist zu hoffen, dass der Ständerat oder spätestens der Nationalrat, in dem auch bevölkerungsreiche Regionen der Schweiz mit echten Verkehrsproblemen etwas zu sagen haben, den Entscheid korrigieren. Er ist gleich aus verschiedenen Gründen falsch.

Erstens gibt es keine Verkehrsbedürfnisse, welche der Tunnel befriedigen würde – und es ist auch nicht absehbar, dass eine Zusammenführung des Netzes der Matterhorn-Gotthard-Bahn mit anderen Schmalspurnetzen so viel neue touristischen Nachfrage generieren würde, dass Verbindungen in die Nähe eines «Glacier-Express» oder «Bernina-Express» kämen. 

Zweitens muss die Kostenschätzung als unredlich bezeichnet werden. Die 250 bis 300 Millionen Franken, mit denen Rieder und Co. derzeit für das Projekt weibeln, entsprechen einerseits viel geringeren Kosten pro Meter, als sie bei anderen ähnlichen Projekten zur Realität wurden. Der Bundesrat schreibt denn auch, dass die Netto-Ausbaukosten «um einiges höher liegen dürften».

Drittens würde mit einer Express-Finanzierung ein gefährlicher Präjudiz geschaffen. Im Jahr 2014 hat das Volk der Schaffung des Bahninfrastrukturfonds zugestimmt. Die Botschaft dazu war unmissverständlich: Mit dem neuen Vorgehen entscheidet das Parlament in einem Rhythmus von vier bis acht Jahren über neue Ausbauten – und zwar, nachdem das Bundesamt für Verkehr (BAV) diese nach ihrem Kosten-Nutzen-Verhältnis bewertet hat. Dieser Prozess soll nun für ein einzelnes Projekt über den Haufen geworfen werden – und zwar für eines, das vom BAV ein deutlich ungenügendes Kosten-Nutzen-Verhältnis attestiert bekommen hat. Eine solche Vorzugsbehandlung ist undemokratisch und widerspricht dem in einer Volksabstimmung festgelegten Vorgehen.

Viertens, und wahrscheinlich am wichtigsten: Das Geld ist nicht endlich. Schon bei den regulären Ausbauschritten schlagen die Kantone jeweils ein Vielfaches von Investitionen vor, als der BIF hergibt. Diese müssen priorisiert werden – und zwar idealerweise so, dass Ausbauten einen möglichst grossen Einfluss auf die Nutzung des öffentlichen Verkehrs und den Modalsplit haben. Dass der Grimseltunnel diesbezüglich nur minimales bewirken kann, ist nur ein Problem. Das andere ist das Signal, das damit ausgesendet wird. Dem Durchgangsbahnhof Luzern, einem Projekt, das für die ganze Zentralschweiz von Bedeutung ist, droht aus finanziellen Gründen die Etappierung. Das Basler Herzstück, das der Region endlich ein S-Bahn-Netz bringen würde, das den Namen verdient, dürfte auch wegen der Grösse der Investitionen mittlerweile kaum vor 2050 realisiert werden. Auf das Anschlussbauwerk für den Meilibachtunnel im Zimmerberg-Basistunnel II will der Bund aus finanziellen Gründen im nächsten Ausbauschritt verzichten. Die Prognose sei gewagt: Wenn das geschieht, wird der Ausbau später zu einem Mehrfachen des Preises unter laufendem Betrieb nachgeholt werden müssen.

Dies alles sind Projekte, von denen Zehn-, wenn nicht Hunderttausende Menschen täglich profitieren würden und die einen echten Einfluss auf den Modalsplit haben könnten. Der Föderalismus ist ein Erfolgsrezept der Schweiz. Wenn er aber zum reinen Lobbying der Bergkantone verkommt, die via ihre Interessensvertreter im Ständerat das Geld für den Bahnausbau so umverteilen, dass in den bevölkerungsreichen Teilen des Landes mit echten Verkehrsproblemen weniger zur Verfügung steht, hat er diesen Namen nicht mehr verdient. Solidarität ist keine Einbahnstrasse. Es darf auch von Vertretern der Randkantone erwartet werden, dass sie die Herausforderungen der Agglomerationen und Städte im Mittelland respektieren und anerkennen – zumal der ÖV in Kantonen wie dem Wallis sowieso schon sehr grosszügig alimentiert wird und der Kanton gerade mal 37 Prozent des Defizits tragen muss, das in seinem Regionalen Personenverkehr entsteht. Der Kanton Genf berappt fast doppelt so viel selbst.

Fünftens und zu guter Letzt hat sich die Gleichung eingeschlichen, dass Ausbauten für die Bahn dem Klima automatisch nützen. Das stimmt nicht. Ein Projekt wie der Grimseltunnel würde im Bau Millionen Liter Wasser, unzählige Tonnen Beton und damit eine riesige Menge graue Energie mit entsprechenden CO2-Emissionen freisetzen. Solche Ausbauten lohnen sich aus Sicht des Klimaschutzes, wenn damit jährlich Zehntausende Auto- und Lastwagenfahrten ersetzt werden können. Beim Grimseltunnel müsste schon sehr optimistisch gerechnet werden, damit man diese These vertreten könnte.

Ein zusammenhängendes Schweizer Schmalspurnetz dank dem Grimseltunnel – es ist ohne Zweifel eine attraktive Vision für Bahnliebhaber. Politisch und aus Sicht des Klimas ist sie aber nicht opportun. Dieser Tunnel soll nicht gebaut werden.

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