Trenitalia gewinnt, Eurostar verliert Passagiere // Die Lehren aus Gratis-ÖV in Städten // Brandbrief an deutschen Verkehrsminister

Trenitalia fährt mit grossem Erfolg auch nach Paris. Bild: Paolo Candelo / Unsplash

Trenitalia fährt seit kurzem zwischen Paris und Mailand – mit riesigem Erfolg. Anders sieht es bei Eurostar aus. Ausserdem im wöchentlichen Blick aufs Ausland mit Links zu spannenden Geschichten: Das bringt Gratis-ÖV in Städten und darum schreiben deutsche Stadträte einen Brandbrief an den Verkehrsminister.

von Stefan Ehrbar
7. Oktober 2022

Grosser Erfolg für Trenitalia

Seit dem letzten Dezember führt die italienische Bahn Trenitalia Hochgeschwindigkeitszüge zwischen Paris, Lyon, Turin und Mailand. Eingesetzt werden Züge des Typs Frecciarossa 1000. Pro Tag und Richtung werden zwei Verbindungen angeboten, die Preise starten zum Teil schon bei 29 Euro für einen Weg.

Vor dem Markteintritt von Trenitalia wurde der Verkehr auf dieser Strecke alleine durch die französische Bahn SNCF abgewickelt. Die neue Konkurrenz hat nun für eine deutlich gestiegene Nachfrage gesorgt. In den letzten 9 Monaten wurden auf dieser Strecke laut einem Bericht von BFM 58 Prozent mehr Passagiere gezählt. Der Durchschnittspreis sank von 45 um etwa 7 Prozent auf 42 Euro pro Ticket und Richtung.

Die Nachfragesteigerung zeigte sich nicht nur bei Trenitalia: Auch die TGV auf der Strecke konnten laut dem Bericht 18 Prozent mehr Passagiere begrüssen, die Günstig-TGV der SNCF unter dem Markennamen Ouigo gar 57 Prozent mehr. Passagiere konnten laut Christopher Michau von der Buchungsplattform Trainline im Sommer dank der neuen Wettbewerbssituation bis zu 43 Euro pro Weg sparen.

Laut einer Umfrage sind 64 Prozent der 18- bis 24-Jährigen befragten Franzosen der Meinung, dass das Ende des Monopols der SNCF ein Anreizfaktor für das Bahnfahren darstellt. Die SNCF selbst lässt sich damit zitieren, dass Konkurrenz den Kuchen grösser mache und man den Wettbewerb begrüsse.

Das Reiseportal Business Traveller führt den Erfolg von Trenitalia auf dieser Strecke auf drei Gründe zurück: Erstens ein besseres On-Bord-Produkt, zweitens schnellere Fahrzeiten, weil die italienischen Züge im Gegensatz zu den TGV in Italien das dortige Hochgeschwindigkeits-Netz benutzen dürfen, und drittens die Tatsache, dass die Trenitalia-Züge in Mailand den Bahnhof Centrale anfahren und die SNCF-Züge den Bahnhof Porta Garibaldi.

Gleichzeitig vermeldet das Portal auch schlechte Nachrichten auf einer anderen Strecke: Eurostar muss die Passagierzahlen am Bahnhof London St Pancras um 30 Prozent reduzieren. Das wird damit begründet, dass seit dem Brexit deutlich mehr Zeit für Formalitäten aufgewendet werden muss. Auch nimmt Eurostar etwa die Route zum Disneyland Paris aus dem Programm.

Das bringt Gratis-ÖV in Städten

In vielen US-amerikanischen Städten ist die Benützung des öffentlichen Nahverkehrs kostenlos. Das Portal nextcity.org zeigt in einem Artikel auf, was die Folgen davon sind.

In Kansas City habe der kostenlose ÖV dazu geführt, dass die Passagierzahlen nach der Coronakrise schneller wieder stiegen als anderswo. Auch sagten in einer Umfrage 92 Prozent der Fahrgäste, dass sie nun einen besseren Zugang zu Lebensmittelläden hätten. Weitere 88 Prozent sagten dasselbe über die Gesundheitsversorgung, 82 Prozent über den Arbeitsmarkt.

Daneben kam es zu deutlich weniger Streitigkeiten in den Fahrzeugen, denn die Mehrheit davon war laut den Betreibern auf Probleme mit den Tickets zurückzuführen. Gleichzeitig aber nutzten noch immer erst 3 Prozent der Einwohner den ÖV für die Fahrt zur Arbeit, was auch mit langen Wartezeiten und einem instabilen Betrieb zu tun habe.

Die Stadt Alexandria wiederum hat zu Beginn der Coronakrise die Kosten für die Benützung des ÖV vor Ort auf 0 gesenkt. Gleichzeitig investiert die Stadt in einen dichteren Takt und ein neu gestaltetes Bussystem. Die Passagierzahlen seien dadurch sehr schnell gestiegen, so das Portal. Der Geschäftsführer der lokalen ÖV-Betriebe sagt, mit der Umstellung auf einen kostenlosen Betrieb gehe auch ein ideologischer Wandel einher. Der öffentliche Nahverkehr werde nicht mehr als umlagefinanzierte Dienstleistung betrachtet, sondern als öffentliche Infrastruktur. Das Beispiel Alexandria bestätigt laut dem Artikel, dass kostenloser ÖV am besten in kleineren Systemen und in Verbindung mit einem häufigen und zuverlässigen Angebot funktioniert.

Als weitere Beispiel wird Boston genannt, das seit 1. März für die Benützung dreier Buslinien keine Gebühren mehr verlangt. Die Fahrgastzahlen stiegen seither um 22 Prozent, wovon 5 Prozent auf Passagiere entfielen, die sonst mit dem Auto gefahren wären. Allerdings spart nur ein kleiner Teil der Fahrgäste Geld, weil die meisten weitere Linien benützen müssen, die nicht kostenfrei sind.

Brandbrief an den Verkehrsminister

Verkehrsplaner, die in Deutschland mit Tempo 30, Fussgängerstreifen oder anderen Massnahmen Unfällen vorbeugen wollen, stossen auf juristische Hürden. Das schreiben die zuständigen Stadträtinnen und Stadträte aller zwölf Berliner Bezirke in einem Brief an den deutschen Verkehrsminister Volker Wissing (FDP). Über diesen berichtet die «Berliner Zeitung».

Die Forderungen im Schreiben sind unmissverständlich: «Das Strassen- und Verkehrsrecht muss dringend reformiert werden», heisst es. «Wir dürfen an vielen Stellen erst aktiv werden, wenn detailliert nachgewiesen ist, dass an genau dieser Stelle bereits Unfälle passieren oder eine Gefahrenlage besteht», umschreiben die Zuständigen die Rechtslage. Das führe dazu, dass Unfälle meist erst verhindert werden können, wenn an einer Stelle schon welche stattgefunden haben.

Selbst Politiker der CDU haben den Brief unterzeichnet. Die Stadträte erreichten jeden Tag Bitten, Petitionen und Arbeitsaufträge aus den Parlamenten oder der Zivilgesellschaft, die Strassen zu ändern. Das sei aber momentan nicht so einfach möglich. Das Ziel sei es, Strassen sicherer zu machen und allen, insbesondere Kindern und älteren Menschen, die Teilnahme am Strassenverkehr sicher zu ermöglichen.

Dazu müsse das Strassenverkehrsgesetz reformiert werden. Der heute benötigte Nachweis der Gefahrenlage solle abgeschafft werden, fordern die Stadträtinnen und -räte. Insbesondere sollen der Fuss- und der Radverkehr stärker berücksichtigt werden.

Volker Wissing hat angekündigt, eine Reform zu prüfen. Der deutsche Verkehrsminister gilt aber als Verfechter des Autoverkehrs, der Einschränkungen diesem gegenüber kritisch gegenübersteht.

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