
Deutschlands Autobahnen dienen den Firmen als Lagerstätte. Das führt zu kilometerlangen Staus, berichtet das «Handelsblatt». Ausserdem im wöchentlichen Blick aufs Ausland: Die französische Metropole Lyon will zur Velostadt werden – und darum deckt die Strasse nur etwa einen Drittel ihrer Kosten.
von Stefan Ehrbar
24. September 2021
Brauchen Firmen Autobahnen als Lager?
Das Produktionskonzept «Just in Time» sieht vor, dass Firmen keine teuren Lager unterhalten, sondern ihre Waren genau dann fertigen und ausliefern, wenn sie gebraucht werden. Das bedingt, dass Lastwagen zum genau richtigen Zeitpunkt an der Laderampe stehen und die Waren wegfahren. Als Pionier des Konzepts gilt der japanische Autobauer Toyota, der es bereits 1973 implementierte.
Die Sache hat aber einen Haken, den das «Handelsblatt» wie folgt beschreibt: «Die Allgemeinheit muss dafür zahlen». Deutsche Firmen hätten ihre Lager faktisch auf die Autobahn und in die Lastwagen verlegt, was zu kilometerlangen Staus führe. «Endlose Lastwagenschlangen verstopfen seit dem Ende des Lockdowns wieder täglich in Zweierreihen die Hauptverbindungen zwischen Deutschlands Industriezentren.»
In verlorene Arbeitszeit umgerechnet verursachten die Staus jedes Jahr Zusatzkosten von 60 bis 100 Milliarden Euro. Der wirkliche Schaden sei aber noch höher: Denn die jährlich fast 3,8 Milliarden Tonnen an Gütern, welche mit Lastwagen transportiert werden, hätten das Autobahn- und Brückennetz ruiniert und zu «endlosen Baustellen» geführt.
Autobahnparkplätze seien in Wahrheit längst ein «öffentlich finanzierter Ersatz für die eingesparten Lagerhallen». Doch die Firmeneinnahmen aus dem Güterverkehr wanderten nach Osteuropa zu dortigen Transporteuren.
Das Fazit der Zeitung: Die Grosse Koalition habe versagt, weil sie zugelassen habe, dass der Lastwagen-Anteil am Güterverkehr in Deutschland auf einen Rekordwert von über 85 Prozent kletterte. Eine höhere Maut oder Anti-Dumping-Regeln hätten Abhilfe schaffen können.
Lyon will Velostadt werden
Die französische Grossstadt Lyon und ihre Nachbargemeinden wollen zur Velostadt werden. Diese Woche hat Bruno Bernard, der Präsident der Metropolregion Lyon mit 1,4 Millionen Einwohnern ein neues Veloschnellnetz vorgestellt. Es wird den Namen «Les Voies Lyonnaises» tragen und soll 13 Linien mit einer Gesamtlänge von 355 Kilometer umfassen.
Velowege mit der Länge von etwa 100 Kilometern bestehen bereits, weitere 250 Kilometer sollen im Zeitraum 2026 bis 2030 hinzukommen. Die Region habe sich von Städten wie Kopenhagen inspirieren lassen, was beispielsweise die Sicherheit von Kreuzungen angeht. Auch Amsterdam habe Inspirationen geliefert.
Die Linie 1 etwa, die 21 Kilometer lang sein soll, werde es den Velofahrern ermöglichen, fast auf der ganzen Strecke ohne Anhalten und ohne Begegnungen mit Autos durchzufahren. Die Zahl der Velofahrten soll mit dem Plan gegenüber heute verdreifacht werden.
Einige der Linien werden sehr lang, etwa die Linie 3 zwischen Quincieux und Givors mit 57 Kilometern oder die Linie 5 zwischen Saint-Fons und Bron mit 46 Kilometern. Die Linien werden mit Bodenmarkierungen bezeichnet. Insgesamt sollen 49 der 59 Gemeinden in der Metropolregion Zugang zum Velonetz erhalten.
Für das Projekt werden etwa 100 Millionen Euro veranschlagt. Noch ist das Budget nicht verabschiedet. Die Verantwortlichen gaben zudem bekannt, dass die Umsetzung der Vision nicht funktionieren werden, ohne das Auto einzuschränken und etwa Parkplätze aufzuheben.
Strasse deckt nur 36 Prozent ihrer Kosten
Die Strasse deckt einen kleineren Teil ihrer Kosten, als dies gemeinhin angenommen wird – zumindest in Deutschland. Das belegt eine neue Studie der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW), welche diese Woche veröffentlicht wurde und vom Netzwerk Europäischer Eisenbahnen (NEE) in Auftrag gegeben wurde.
Laut der Studie gibt die öffentliche Hand jährlich 70 Milliarden Euro für den Strassenverkehr aus. Davon entfallen 38 Milliarden Euro auf den Bau und Unterhalt von Strassen, 14 Milliarden Euro auf die Verkehrspolizei und 18 Milliarden Euro auf Folgekosten von Unfällen, die von den öffentlichen Sozialkassen getragen werden.
Gleichzeitig erzielt der Strassenverkehr laut der Studie Einnahmen in der Höhe von 50 Milliarden Euro aus Steuern und Abgaben, wovon per Gesetz in Deutschland nur die Hälfte über die Mineralölsteuer zweckgebunden ist. Demgemäss decke das System mit Verkehrswegen und zugehörigen Einrichtungen wie Parkplätzen und Tankstellen seinen Kostenbedarf nur zu 36 Prozent und werde «aus öffentlicher Hand in erheblichem Umfang subventioniert», wie das Portal heise.de schreibt.
Auch der Schienenverkehr arbeite nicht kostendeckend, die finanziellen Strukturen seien aber klarer, heisst es in der Studie. Die Strasse profitiere zudem mit einer reduzierter Dieselsteuer, einer geringen CO2-Bepreisung oder Subventionen für die Erneuerung von Lastwagenflotten von Privilegien, die nicht an die Klimafreundlichkeit gekoppelt seien. Die Finanzierung der Verkehrsträger müsse laut den Autoren transparenter gestaltet werden.
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