Die deutschen Grünen präsentieren eine Vision für ein europaweites Nachtzug-Netz mit mehreren Linien durch die Schweiz. Ausserdem im wöchentlichen Blick aufs Ausland: Das Auto bleibt in Deutschland das beliebteste Verkehrsmittel zum Pendeln, während es in Paris erfolgreich zurückgedrängt wird.
von Stefan Ehrbar
17. September 2021
Deutsche Grüne wollen neues Nachtzugnetz
Die Fraktion der Grünen im Deutschen Bundestag hat eine Vision für ein europaweites Nachtzug-Netz ausgearbeitet. Mit der «Netzvision 2030+» könnten perspektivisch bis zu 500 Grosssstädte, Mittelzentren und Urlaubsregionen in Europa miteinander verbunden werden, heisst es in einer Mitteilung. Um dieses Ziel zu erreichen, schlagen die Grünen einen Fünf-Punkte Plan vor: Es soll die Infrastruktur passend ausgebaut werden, komfortable und schnelle Züge beschafft werden, es soll eine kundenfreundliche Buchungsplattform mit Anschlusssicherung geben, die Trassenpreise sollen gesenkt werden und es soll faire Wettbewerbsbedingungen zwischen Schiene und Flugzeug geben.
Klimafreundliches Reisen gehe vor allem mit der Eisenbahn, schreibt die Partei. Kein anderes Verkehrsmittel könne mit ihrer Effizienz und der raschen Aussicht, zu 100 Prozent auf erneuerbare Energien zu setzen, mithalten. Bei Nachtzügen entfielen zudem aufwändige Sicherheitschecks und weite Anreisen zu ausserhalb liegenden Flughäfen.
Auf der Internetseite des Bundestagsabgeordneten Matthias Gastel sind mehr Informationen zur Vision zu finden, inklusive einer Netzkarte. Insgesamt sehen die Grünen 40 Nachtzuglinien vor. Drei davon würden auch durch die Schweiz führen, nämlich:
- N10 Zürich – Hamburg – Kopenhagen – Stockholm
- N27 Zürich – Paris – Bordeaux – San Sebastian
- N8 Amsterdam – Frankfurt – Basel – Mailand
Laut Gastel sind alle Linien mit Fahrzeiten hinterlegt, denen zum Teil Infrastrukturausbauten zu Grunde liegen, die aktuell in Umsetzung sind. Die Fahrzeiten der meisten Linien betragen demgemäss zwischen 9 und 14 Stunden. Teilweise seien Linien so verlängert worden, dass Randabschnitte nur saisonal oder als Tagesrandlage befahren werden könnten.
Vorerst handelt es sich um nicht mehr als eine Vision. Ob und welche Teile davon realisiert werden, ist unklar. Der deutsche Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) schrieb auf Twitter, niemand verschlafe so zuverlässig wie die Grünen: «Die neuen Nachtzug-Linien FAHREN BEREITS(!) Immer mehr Verbindungen wie Wien-Paris/Zürich-Amsterdam kommen dazu.» Allerdings ist der Beitrag Deutschlands zu diesen Linien, die primär von den ÖBB betrieben werden, bescheiden.
Immer mehr Autos in Deutschland
Die meisten Pendler in Deutschland nutzen das Auto. Im vergangenen Jahr waren es zwei Drittel, die mit dem eigenen Auto zur Arbeit fuhren, und zwar auch auf kürzeren Strecken. Das berichtet der «Spiegel» mit Verweis auf die alle vier Jahre durchgeführte Pendlererhebung des Statistischen Bundesamtes.
Den öffentlichen Nahverkehr nutzten demnach nur 13 Prozent, um zur Arbeit zu kommen. Nur jeder zehnte Erwerbstätige gab an, regelmässig mit dem Velo zur Arbeit zu fahren, fast niemand geht zu Fuss.
Die Coronakrise hatte laut der Erhebung nur wenig Einfluss auf das Verhalten der Pendler. Im Vergleich zur letzten Erhebung im Jahr 2016 sind die Prozentanteile der einzelnen Verkehrsmittel fast unverändert. Fast die Hälfte der Arbeitswege ist weniger als zehn Kilometer lang, und auch dort kommt das Auto regelmässig zum Einsatz, heisst es im Artikel.
Das Bundesamt selber bezeichnet die Ergebnisse als «ungebrochene Dominanz des Autos» als Beförderungsmittel. Rund 84 Prozent des motorisierten Personenverkehrs werden in Deutschland mit dem Auto zurückgelegt, 9 Prozent mit dem Zug und 6 Prozent mit Bussen.
Paris: Die «Befreiung vom Auto»
David Belliard ist Stadtrat in Paris für die Grünen und zuständig für Transport und öffentliche Räume. Er ist damit massgeblich beteiligt am Umbau der französischen Metropole, der im Verkehrsbereich derzeit stattfindet – etwa mit Tempo 30 fast überall in der Stadt, der Sperrung von Strassen und dem Bau neuer Velorouten.
Im Interview mit dem Magazin «Slate» nimmt Belliard Stellung zu den Plänen und den Erfolgen seiner Politik. Paris sei schon wegen seiner Bauweise mit vielen kleinen Strassen und seiner hohen Dichte nicht für das Auto gemacht, sagt er. Deshalb habe Paris früh viele Strassen und Parkhäuser in den Untergrund verlegt. Doch schon in den 90ern seien die negativen Effekte des immer noch dominanten Autoverkehr offensichtlich geworden, sagt er – etwa in Form von Verkehrstoten, Luftverschmutzung und Gefahren für Kinder und ältere Menschen. Gleichzeitig sei das Velofahren noch 2001 ein «Krieg» gewesen, die damaligen Velorouten seien «Todeswege» genannt worden.
Selbst Busspuren seien vor einigen Jahren noch ein Skandal gewesen. Nun, mit der Beschleunigung des Klimawandels, müsse etwas getan werden. Die Stadt sei verletzlich. Der öffentliche Raum in Paris sei knapp, wertvoll und nützlich. «Er gehört jedem und kann nicht für eine Nutzung alleine beansprucht werden. Immer noch sind 50 Prozent des öffentlichen Raums in Paris für das Auto reserviert in Form von Strassen oder Parkplätzen. Dabei sind diese für bloss 10 Prozent der Wege verantwortlich.»
Heute seien fast nur noch Reiche in Paris mit dem Auto unterwegs, und die meisten davon seien Männer. «Die reichsten Männer nutzen die Hälfte des öffentlichen Raums», so Belliard. Dieser Platz müsse allen zurückgegeben werden, in Form von Raum fürs zu Fuss gehen, Velofahren oder den ÖV.
Es stimme auch nicht, dass Geschäfte weniger Umsatz machten, wenn das Auto verbannt werde. «Alle unsere Zahlen zeigen das Gegenteil», so Belliard. Menschen, die mit dem Velo oder zu Fuss kommen, geben laut dem Stadtrat sogar mehr aus als solche, die mit dem Auto anreisen.
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