Städte weltweit verdrängen das Auto – Fitness-Studio im Zug?

In Melbourne ist ein Teil des ÖV in der Innenstadt kostenfrei. Bild: Weyne Yew / Unsplash

Städte weltweit versuchen, das Auto aus ihrem Strassenbild zu verdrängen. Welche Methoden wenden sie an? Ausserdem im wöchentlichen Blick aufs Ausland: Der geplante Fernbahntunnel in Frankfurt bringt komplexe Herausforderungen mit sich – und eine Verkehrsforscherin fordert Duschen in Zügen.

von Stefan Ehrbar
3. Juli 2021

So kämpfen Städte gegen das Auto

Die Regierungen von immer mehr Grossstädten weltweit bemühen sich, ihre Innenstädte weniger stark auf das Auto auszurichten. Die Umsetzung dieser Vision stellt die Behörden vor einige Schwierigkeiten, wie die «taz» berichtet. Sie hat einige Städte miteinander verglichen.

In Paris etwa hat die Bürgermeistern Anne Hidalgo kürzlich bekanntgegeben, dass Autos bis nächstes Jahr aus einem kleinen Teil der Innenstadt komplett verschwinden sollen. Die Einwohner dürfen über diese Zone mitbestimmen. Taxis, Velos, der Lieferverkehr und der ÖV sind von den Plänen nicht betroffen. In Barcelona wurde laut der Zeitung anfangs Mai flächendeckend Tempo 30 auf dem Stadtgebiet eingeführt. Sogenannte «Superilles» trennen ehemals zweispurige Strassen in eine Spur für Autos und eine für Fussgänger, Velofahrer und andere Zwecke.


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In Hongkong wiederum gibt es mehrere Orte, die frei von Autoverkehr sind. In einer solchen Zone liegt auch der internationale Flughafen, den nicht einmal Taxis anfahren dürfen. Stattdessen setzt die Stadt auf die U-Bahn ins Stadtzentrum. Shuttlebusse und Fähren sind 24 Stunden am Tag in Betrieb, zudem gibt es für Touristen viele Leihvelo-Stationen. In Melbourne wiederum wurde der ÖV in der Innenstadt kostenfrei, ausserdem wurden mehr Velowege gebaut und grosse Teile der Innenstadt vom Autoverkehr befreit.

Ob diese Massnahmen ausreichen, ist allerdings umstritten. So sagt der ehemalige Abteilungsleiter des deutschen Umweltbundesamt der Zeitung, Tempo 30 auf Hauptverkehrsstrassen sei zwar gut. Dort, wo sich Velos, Fussgänger und Autos begegnen, sei aber Tempo 20 nötig. Denn sonst verringere sich die Zahl der getöteten Velofahrer und Fussgänger nicht.

Probleme für den Fernbahntunnel in Frankfurt

Die Deutsche Bahn hat diese Woche bekanntgegeben, dass Fernzüge in Frankfurt künftig durch einen zweigleisigen Tunnel unter die Stadt geleitet werden sollen – inklusive eines Tiefbahnhofs und nicht unähnlich der Durchmesserlinie in Zürich. Das Projekt wird Fernbahntunnel genannt.

Der Tunnel soll etwa acht Kilometer lang sein. Der Tiefbahnhof soll in 35 Metern Tiefe zu liegen kommen und vier Perrons aufweisen. Die Baukosten werden auf 3,6 Milliarden Euro (ca. 4 Milliarden Franken) geschätzt, die ersten Züge dürften frühestens 2035 über die neue Strecke fahren.

Eine Alternative zum Projekt gebe es nicht, schreibt das «Handelsblatt». Die Einfahrt in den heutigen Sackbahnhof sei äusserst verspätungsanfällig und sorge regelmässig für Verzögerungen. «Frankfurt ist ein chronischer Engpass, der die Disponenten der Bahn regelmässig zur Verzweiflung bringt.»

Die Planungen sollen nun unverzüglich starten. Der Tunnel hat eine Bedeutung weit über die Stadt hinaus und gilt als zentrales Herzstück des angedachten Deutschlandtaktes. Er sei technisch und wirtschaftlich machbar, liess sich diese Woche Enak Ferlemann, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, zitieren. Mit dem neuen Tunnel soll die Kapazität im Knoten Frankfurt von 1250 auf 1500 Züge pro Tag gesteigert werden. Die Kapazität, die im bestehenden Bahnhof frei wird, soll vor allem für den Regionalverkehr genutzt werden.

Die genaue Linienführung stellt die Bahn allerdings vor einige Probleme. Denn unter den Hochhäusern Frankfurts hindurch müssten Fundamente bei einer ursprünglich angedachten Linienführung bis zu 50 Meter tief gesetzt werden – ein zu grosses Hindernis. Auch bei anderen Linienführungen stehen laut der Zeitung Hindernisse im Weg. Die nun gewählte Variante führe deshalb an den Hochhäusern vorbei. Auch diese Variante sei aber sehr komplex.

Braucht es Fitnessstudios in den Zügen?

Wie gelingt die Verkehrswende in Deutschland? Mit dieser Frage setzt sich die FAZ auseinander. Die Bundesregierung will bis 2030 doppelt so viele Fahrgäste in der Bahn und den Anteil der Schiene beim Güterverkehr von rund 19 auf 25 Prozent steigern.

Zwar seien die Argumente für einen Umstieg auf den ÖV bekannt: Autos nehmen viel Platz weg und mindern die Lebens- und Luftqualität in den Städten. «Aber die Argumente sind ausgelutscht und platt», wird Corinna Salander, Direktorin des Deutschen Zentrums für Schienenverkehrsforschung, zitiert. Die Begeisterung für das eigene Auto sei da, weil es Individualität biete. Deshalb müsse man den Menschen Lösungen anbieten, die den Umstieg attraktiv machen.

Auch aus Gründen des Klimaschutzes brauche es einen Umstieg auf die Schiene, schreibt die Zeitung. Einen wichtigen Anteil könne die Elektrifizierung des Autoverkehrs haben, doch es brauche laut Experten auch eine Verkehrsvermeidung und Verkehrsverlagerung auf die Schiene. Wieso kommt diese nicht voran?

Experten haben an einer Tagung des Umweltministeriums und der Allianz pro Schiene am Mittwoch drei Engpässe ausgemacht: Die mangelnde Schieneninfrastruktur, ein seit Jahren bestehender Investitionsstau und fehlendes Personal. Am Ende müssten aber auch die Verbraucher überzeugt werden. Und hier sieht Salander noch viel brachliegendes Potenzial.

In den Zügen müsse es mehr attraktive Angebote geben, wird die Verkehrsforscherin zitiert. Denkbar seien etwa zu Fitnessstudios umgerüstete Abteile oder Duschen in den Zügen. «Das habe ich weder im Auto noch im Flugzeug», sagt Salander.

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