Sind Elektroautos viel klimaschädlicher? – Deutschland reaktiviert Bahnstrecken – Autofreie Städte

Stau im chilenischen Valparaiso: Müssen die Autos raus aus den Städten? Bild: Alvaro Reyes / Unsplash

In einem offenen Brief warnen Forscher: E-Autos verursachten weit mehr Kohlendioxid-Emissionen als angenommen. Doch stimmt das überhaupt? Ausserdem im wöchentlichen Blick aufs Ausland: Deutschland reaktiviert alte Bahnstrecken und Experten fordern Städte ohne Autos.

von Stefan Ehrbar
26. Juni 2021

Sind Elektroautos klimaschädlicher als gedacht?

In einem offenen Brief an die Europäische Kommission haben Forscher von italienischen, griechischen, spanischen, schwedischen und deutschen Universitäten kritisiert, dass die CO2-Emissionen von Elektroautos falsch berechnet werden.

Bei der Berechnung der Emissionen im Elektrizitätssektor werde ein wichtiger Summand unterschlagen. Die Emissionen, die beim Aufladen von Akkus entstehen, würden deutlich unterschätzt. Das Potenzial, mit mehr Elektrofahrzeugen CO2-Emissionen einsparen zu können, sei darum kleiner, als es von vielen Politikern kommuniziert werde. Der Fehler liege demnach bei der Berechnung der CO2-Emissionen, die im Energiesektor anfallen.

Die «Stuttgarter Zeitung» rechnet in einem Artikel vor, was das bedeutet. VW gehe beispielsweise davon aus, dass das Elektroauto ID.3 des Konzerns nach 16 Jahren und 224’000 Kilometern Laufleistung Emissionen von 14 Tonnen CO2 verursacht habe. Doch wenn der Rechenfehler beseitigt werde, müsse von über 30 Tonnen ausgegangen werden – mehr als doppelt so viel. Dabei sei noch nicht einmal der Ausstoss eingerechnet, der für den Bau des Fahrzeugs, den Betrieb bei winterlichen Temperaturen und bei Schnellladeverfahren entstehe. Zudem rechne VW mit dem CO2-Wert des durchschnittlichen Strommix. Doch zu Zeiten, in denen nicht genügend grüner Strom vorhanden ist, werde der Bedarf aus fossilen Quellen gedeckt.

Der offene Brief hat laut der Zeitung das Prüfzertifikat für eine Veröffentlichung in der Fachpublikation «Zeitschrift für Angewandte Mathematik und Mechanik» bekommen. Als Alternative schlagen die Forscher vor, synthetische, CO2-neutrale Kraftstoffe stärker zu fördern, die beigemischt werden können.

Um den offenen Brief der Autoren ist eine Kontroverse entstanden. Andere Experten widersprechen. Die Methode, welche die Unterzeichner für die Berechnung von Emissionen heranziehen, sei nicht geeignet, um einzelne Technologien zu bewerten, sagt etwa Felix Creutzig vom Berliner Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change der Zeitung «Tagesspiegel». Wenn Solaranlagen und ein Kohlekraftwerk je eine Kilowattstunde Strom bereitstellen und davon eine für den Betrieb eines Kühlschranks und eine für den Betrieb eines Elektroautos verwendet werde, würden die CO2-Emissionen des Kohlekraftwerks damit alleine dem Elektroauto zugerechnet. Das sei nicht stattfhaft.

Falko Ueckerdt vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung sagt der Zeitung, die direkte Elektrifizierung des Verkehrs mit Elektroautos verursache einen vergleichsweise geringen zusätzlichen Strombedarf. Ausserdem ignoriere der offene Brief, dass Elektroautos flexibel aufgeladen werden können – eben genau dann, wenn mehr Strom aus erneuerbaren Quellen verfügbar. ist. Auch ein Forscher der ETH Zürich kritisiert den offenen Brief. Es sei nötig, der Elektromobilität jetzt zum Durchbruch zu verhelfen.

Deutsche Bahn reaktiviert Strecken

Die Deutsche Bahn belebt 20 Strecken mit 245 Kilometern Gleis neu. Das hat sie diese Woche bekanntgegeben. Zudem sucht sie aktiv nach weiteren Strecken des Personen- und Güterverkehrs, die wieder in Betrieb genommen werden könnten.

Ein Expertenteam der DB habe in den vergangenen Monaten ein Streckenportfolio in ganz Deutschland mit insgesamt rund 1’300 Kilometern Länge ermittelt, für das verkehrliches Potenzial besteht, heisst es in einer Mitteilung. «Bei einem Grossteil lohnt sich bei Abwägung von Kosten und Nutzen die Wiederinbetriebnahme.» Damit wolle die Bahn wieder mehr Menschen für sich gewinnen und mehr Güter auf die Schiene bringen. «Jeder Kilometer Gleis ist aktiver Klimaschutz», wird Jens Bergmann, Vorstand Infrastrukturplanung und -projekte der DB Netz zitiert.

Diese Strecken werden reaktiviert. Bild: Deutsche Bahn

Nach Jahrzehnten des Rückzugs werde damit wieder ein Schritt in Richtung Erschliessung der Fläche getan. Die Deutsche Bahn fordert allerdings, dass die Bundesregierung die «veralteten Bedingungen» der Bewertungsverfahren für solche Projekte aktualisiere – eine Forderung, welcher sich die Allianz pro Schiene anschliesst.

Über Streckenreaktivierungen entscheiden laut der Mitteilung Bund, Länder und Aufgabenträger für den Nahverkehr gemeinsam mit der DB. «Analyse und Bewertung der potenziellen Strecken erfolgten im engen Austausch mit den Partnern. Die DB berät weiterhin bei Machbarkeitsstudien und Planung – auch bei der Wiederbelebung von Strecken, die anderen gehören. Diese machen knapp zwei Drittel der identifizierten Strecken aus.»

Experten fordern autofreie Städte

«Städte müssen autofrei werden, um zu überleben»: So fasst das Portal «Treehugger» eine Studie des University College London zusammen, die in «Open Science» publiziert wurde.

Laut der Studie wächst die Zahl der Autos schneller als die Bevölkerung. Im Jahr 2019 wurden etwa 80 Millionen Autos gebaut, während die Weltbevölkerung um 78 Millionen Menschen wuchs. Alleine die Herstellung der Fahrzeuge sei für vier Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich. Das sei schon mehr als die gesamte Aviatik.

Die Autoren argumentieren mit einem ökonomischen Modell: Wenn verlorene Zeit im Verkehr mit Geld bewertet wird, führt dies zu paradoxen Resultaten. Denn je mehr Menschen entscheiden, dass sie mit dem Auto schneller sind als mit dem ÖV, umso schlimmer wird die Verkehrssituation und umso mehr Zeit und Geld verlieren sie. «Wenn alle Verkehrsteilnehmer individuell versuchen, ihre Kosten zu minimieren, kommt das worst-case-Szenario dabei raus», heisst es in der Studie.

Gleichzeitig führt mehr Autoverkehr dazu, dass auch die Infrastruktur entsprechend ausgebaut werden muss und noch mehr Geld in Autos investiert wird, was wiederum Anreize schafft, das eigene Auto zu nutzen – und schlussendlich wiederum zu mehr Stau führt. «Das schnelle Wachstum der städtischen Bevölkerung und die Auto-zentrierte Infrastruktur haben zu wenig besiedelten Vorstadt-Gebieten geführt, die Pendeldistanzen erhöht und es teurer gemacht, effiziente Arten des öffentlichen Verkehrs einzuführen», heisst es in der Studie. Das wiederum führe zu mehr Stau und Luftverschmutzung.

Zudem würden die negativen Effekte der Autos auf die Umwelt und die Gesundheit kaum je transparent gemacht, was die wahren ökonomischen Kosten von Autos verberge. Die Autoren folgern, dass der Platz, der Autos in Städten zur Verfügung steht, reduziert werden muss. Es soll mehr Spuren für den ÖV geben, mehr Trams und breitere Trottoirs.

«Zurzeit steht viel Fläche in den Städten den Autos zur Verfügung. Wenn wir lebenswertere und nachhaltigere Städte haben wollen, müssen wir diese Flächen umverteilen und dem ÖV, Fussgängern und Velofahrern zur Verfügung stellen», schreibt einer der Autoren in einer Pressemitteilung zur Studie. Dieses Fazit gelte nicht nur für London, sondern für alle anderen Städte.

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