Der «chinesische Tesla» kommt nach Europa – Blockiert die Sprache die Verkehrswende? 🆓

Sind Strassen «gesperrt», wenn sie für Fussgänger offen sind? Bild: Brett Sayles / Pexels

Die chinesische Firma Nio ist wertvoller als BMW. Nun sollen die Elektroautos des Start-Ups auch in Europa fahren. Ausserdem im wöchentlichen Blick aufs Ausland: Berlin könnte bald Güter mit dem Tram transportieren – und ein Forscher sagt, wie die Sprache die Verkehrswende behindert.

von Stefan Ehrbar
15. Mai 2021

Nio-Autos sollen in Europa rollen

William Li (46) hat das chinesische Elektroauto-Startup Nio gegründet. Sein Vermögen wird laut der «Süddeutschen Zeitung» auf knapp sechs Milliarden Dollar geschätzt, seine Firma sei sogar noch viel wertvoller und auf dem Papier mehr wert als BMW. Das, obwohl BMW in China im ersten Quartal 200’000 Autos baute und Nio nur einen Zehntel davon.

Nun bringt Li die Nio-Autos nach Europa. Noch dieses Jahr ist der Markteintritt in Norwegen geschehen, das bereits einen sehr hohen Anteil an Elektroautos aufweist. In ihrem Heimatmarkt China hat Nio laut «Auto Motor Sport» bereits drei elektrisch angetriebene SUV-Modelle auf dem Markt, seit diesem Jahr gibt es mit dem ET7 zudem eine Limousine. Ab Juli soll der SUV ES8 in Norwegen bestellbar sein. Die Abmessungen entsprächen etwa jenen des Audi Q7, der Akku soll laut Herstellerin für 500 Kilometer nach dem Messverfahren WLTP reichen. Preise sind noch nicht bekannt. Nio sieht sich laut der Zeitschrift aber als Premium-Marke, die auch Dienstleistungen wie eigene mobile Servicefahrzeuge oder Hol- und Bring-Dienste bietet. In Oslo soll ein vollwertiges Service- und Auslieferungszentrum entstehen. Zudem soll es in Norwegen ebenfalls Batteriewechsel-Stationen geben, und Nio wolle sein eigenes Supercharger-Netzwerk dort aufbauen.

Bei Norwegen soll es nicht bleiben. Nach dem Markteintritt dort will Nio laut Aussagen von Firmengründer William Li am Donnerstag zügig in fünf weiteren Ländern Fuss fassen. Das könnten beispielsweise Frankreich oder Deutschland sein. Genaue Informationen dazu gibt es noch nicht.

Nio ist bekannt, weil die Firma 2016 den schnellsten Elektro-Renner der Welt vorgestellt hatte. Der erreicht eine Höchstgeschwindigkeit von 313 Kilometer pro Stunde. «Eine Strassenzulassung hat das Auto nicht, egal. Es ging einzig um das Signal: Eine chinesische Firma baut das schnellste Elektroauto der Welt», schreibt die «Süddeutsche Zeitung». Die Firma ist seit 2018 an der New Yorker Börse notiert. Die SOftware kommt aus dem Silicon Valley, das Design aus Deutschland und gefertigt wird in China.

Berlin prüft das Cargo-Tram

Weil immer mehr Lieferfahrzeuge die Strassen von Berlin verstopfen, könnten Güter in Zukunft transportiert werden. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) haben einen ersten Testlauf absolviert, berichtet die «Berliner Zeitung». Weitere Untersuchungen seien geplant, möglicherweise wird es ein Pilotprojekt geben, bei dem Logistikfirmen die Trams fix in ihre Lieferketten einbauen.

Bei einem Testlauf wurde ein Container, in dem üblicherweise Pakete oder andere Waren befördert werden, über eine Rampe in den Mehrzweckbereich eines Trams befördert und dort mit Gurten fixiert. Der Test sei erfolgreich verlaufen, wird Strassenbahnchef Rico Gast zitiert. Der Chef der beteiligten Logistikfirma Onomotion Beres Seelbach wird damit zitiert, dass Containertransporte im Tram in jeder Stadt eine sinnvolle Logistiklösung sein könnten.

Auch in Frankfurt am Main gab es bereits Testläufe mit einem Cargotram, das vom Stadtrand ins Zentrum fährt. Dort wurde allerdings ein Fahrzeug speziell für diesen Zweck umgebaut, so dass sich 23 Container unterbringen liessen. Das Projekt in Berlin sieht hingegen weiterhin eine Mischnutzung vor – das Fahrzeug soll also nicht exklusiv für den Gütertransport genutzt werden. Dieser soll auch nur in Nebenzeiten erfolgen, wenn wenig los ist, etwa am frühen Morgen. Für Passagiere soll es nämlich keine Einschränkungen geben.

Auch soll der Fahrplan nicht geändert werden. Darum muss das Ein- und Ausladen schnell geschehen. Strassenbahn-Chef Rico Gast sieht im Projekt auch einen Vorteil für die BVG abseits von allfälligen Einnahmen: «Wenn sich auf den Berliner Strassen nicht mehr so viele Lieferfahrzeuge drängen, kommen unsere Bahnen und Busse schneller und zuverlässiger voran.»

Behindert die Sprache die Verkehrswende?

Die Art, wie wir über den Verkehr sprechen, hält die Verkehrswende auf: Diese These vertritt der deutsche Verkehrsforscher Dirk Schneidemesser vom Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung Potsdam. «Wir haben seit fast einem Jahrhundert über die Sprache die Daseinsberechtigung des Autos verinnerlicht und tief in uns verankert», sagt er im Interview mit der «taz». Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts sei der Verkehr nur eine von vielen Aktivitäten auf der Strasse gewesen. Damals sei es etwa selbstverständlich gewesen, dass Kinder auf der Strasse spielten. «Heutzutage haben wir die Vorstellung, die Strasse ist da für einen einzigen Zweck, und das ist sogar verankert in unserer Gesetzgebung: den motorisierten Verkehr.»

Dazu gekommen sei es durch eine konzertierte Aktion von Menschen, die das Auto als Zukunft ansahen und meinten, der öffentliche Raum müsse sich seinen Bedürfnissen anpassen. In Folge habe es etwa Spielplätze gebraucht, weil Strassen für Kinder unsicherer wurden. Heute spreche niemand mehr davon, die Kinder zum Spielen «auf die Strasse» zu schicken.

Dieser Mentalitätswandel zeige sich auch in anderen Formulierungen. Man spreche etwa von einer «gesperrten Strasse», wenn dort keine Autos mehr fahren dürften, aber der Raum dafür den Anwohnern zur Verfügung stehe. Auch das Parkieren sei «ein absurdes Phänomen»: «Stellen wir uns mal vor, wir lagern etwas anderes im öffentlichen Raum: Ich montiere ein Schloss an meinen Kühlschrank und stelle ihn an den Strassenrand. Das klingt absurd, aber das ist eine ähnliche Praxis. » Das werde zu wenig hinterfragt. Der öffentliche Raum sei eigentlich zu wertvoll, um dort Privatautos gratis oder nahezu gratis abzustellen.

Eine andere Sprache könne die Verkehrswende voranbringen, sagt Schneidemesser. Eine Studie aus den USA habe gezeigt, dass Menschen etwa Veränderungen an der Infrastruktur viel stärker befürworteten, wenn bei Unfallmeldungen der Fokus auf der Fussgängerin statt der Autofahrerin liege oder sich die Beurteilung ändere, was man gegen eine Kollision tun könne. Liege der Fokus etwa auf der Autofahrerin, seien die Befragten offener geworden für Tempolimits.



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