Schafft der Flughafen Zürich wirklich 7 Milliarden Wertschöpfung pro Jahr, wie eine Studie behauptet? Darum gibt es Zweifel

Wie viel Wertschöpfung generiert der Flughafen Zürich wirklich? Bild: Patrick Federi / Unsplash

Laut einer neuen Studie zur volkswirtschaftlichen Bedeutung schafft der Flughafen Zürich in einem Jahr ohne Coronakrise eine Wertschöpfung von fast 7 Milliarden Franken und ist für Zehntausende Arbeitsplätze verantwortlich. Doch die Zahlen sind mit Vorsicht zu geniessen. Sie könnten deutlich zu hoch sein. 

von Stefan Ehrbar
16. Januar 2023

«Studie bestätigt die hohe wirtschaftliche Relevanz des Flughafen Zürich», titelte der Betreiber des grössten Schweizer Airports im November zu einer neuen Analyse des Forschungsbüros Infras. Um den Effekt der Coronakrise bereinigt, generiere der Flughafen eine Wertschöpfung von 7 Milliarden Franken im Jahr und schaffe Arbeitsplätze für 27’400 Mitarbeitende. 

Die Studie wurde für das Jahr 2021 erstellt, wobei das Büro Infras einerseits die effektiven wirtschaftlichen Kennzahlen für dieses Jahr berechnet hat und andererseits Zahlen berechnet hat, die um die Effekte der Coronakrise bereinigt wurden. Bei den 7 Milliarden Franken handelt es sich demnach um eine hypothetische Zahl, die erreicht worden wäre, wenn nicht die Coronakrise der Aviatik einen Schock verpasst hätte. Tatsächlich generierte der Flughafen 2021 eine volkswirtschaftliche Wertschöpfung von 4,2 Milliarden Franken. 

Dabei handelt es sich um eine Betrachtung im engen Sinn. Darunter wird die Wertschöpfung verstanden, welche einerseits die Firmen und Beschäftigten am Flughafen selbst erwirtschafteten (direkter Effekt) und andererseits die Wertschöfpung, welche Firmen erwirtschaften, die Vorleistungen für Unternehmen auf dem Flughafenareal erbringen (indirekter Effekt). Der direkte Effekt entsprach letztes Jahr einer Wertschöpfung von 3,3 Milliarden Franken, der indirekte einer von 900 Millionen Franken. Im Szenario ohne Covid wären es 5,5 respektive 1,4 Milliarden Franken.

Hinzu kommen laut der Studie sogenannte induzierte Effekte von 5,8 Milliarden Franken effektiv respektive 8,4 Milliarden Franken ohne Covid. Bei induzierten Effekten handelt es sich um Wertschöpfung, die dank dem Einkommen der am und durch den Flughafen Beschäftigten zustande kommt. Wenn ein Mitarbeiter sein Geld am Flughafen verdient, kann er mit seinem Einkommen beispielsweise in den Supermarkt oder zum Coiffeur und schafft dort ebenfalls Stellen. 

Zum Vergleich: Die Bruttowertschöpfung in der ganzen Schweiz betrug im Jahr 2021 laut dem Bundesamt für Statistik (BFS) etwa 722 Milliarden Franken. Der Flughafen wäre in einer Betrachtung im engeren Sinn und ohne Covid also für etwa ein Prozent der Wertschöpfung der gesamten Schweiz verantwortlich. Kann das sein?

Tatsächlich sind bei solchen Berechnungen Zweifel angebracht.

Zum einen wurde die hypothetische Wertschöpfung ohne Covid anhand von sogenannten Leitdaten errechnet. Dazu gehören etwa die Entwicklung von Flugbewegungen und Passagierzahlen oder des Bruttoinlandproduktes. Nicht berücksichtigt werden dabei Trends, die sich in den letzten beiden Jahren möglicherweise auch ohne Covid gezeigt hätten – etwa weniger Geschäftsreisen dank Videotelefonie, ein schwächeres BIP-Wachstum aufgrund der Energiekriese und des Kriegs in der Ukraine oder eine langsamere Steigerung der Passagierzahlen. Stattdessen wurde ein lineares Wachstum angenommen, obwohl sich schon vor der Coronakrise eine gewisse Abflachung am Standort Zürich bemerkbar machte.

Zum anderen fehlt eine Gegenüberstellung mit den Kosten, welche die Aviatik verursacht und die von der Allgemeinheit getragen werden müssen. Gemäss dem Bundesamt für Raumentwicklung verursacht der Flugverkehr in der Schweiz jährlich externe Kosten von etwa 1,5 Milliarden Franken, wobei etwa die Hälfte auf den Standort Zürich entfallen dürfte. Dazu gehören Schäden, die der Umwelt entstehen sowie Lärm- und Gesundheitsimmissionen, die sich negativ auf die Gesundheit auswirken und so für Kosten sorgen. Diese müssten in einer vollständigen Betrachtung der Wertschöpfung entgegengestellt werden. 

Zumindest fragwürdig ist auch die Argumentation mit der Luftfracht. Wertmässig verliessen 40 Prozent der Warenexporte die Schweiz per Flugzeug, heisst es in der Infras-Studie. Das Online-Magazin «Das Lamm» hat in einem Artikel zu ähnlichen, früheren Berechnungen des Bundes für die gesamte Aviatik im Land darauf hingewiesen, dass bei der volumenmässig sehr kleinen Menge der Luftfracht-Exporte Potenzial vorhanden sein müsste, zumindest einen Teil per Zug, Lastwagen oder Schiff zu transportieren. Diese Wertschöpfung würde der Schweiz nicht verloren gehen, sondern lediglich von anderen Verkehrsträgern erbracht, gäbe es den Flughafen in dieser Form nicht.

Zudem macht das Magazin auf einen Punkt aufmerksam, der auch in diesem Fall gilt: Die Wertschöpfung der Restaurants und Geschäfte auf dem Flughafenareal wird dem Flughafen angerechnet, obwohl sie eigentlich in der Gastrobranche oder im Handel anfällt. Zumindest ein Teil dieser Wertschöpfung würde auch generiert, gäbe es den Flughafen nicht. Ein Teil der Läden und Restaurants würde sich dann einfach einen anderen Standort suchen.

Dasselbe gilt für die Wertschöpfung des «Circle», dem jüngsten Hochbauprojekt des Flughafen. Der Gebäudekomplex wurde 2020 eröffnet und bietet Räumlichkeiten, die etwa von Microsoft gemietet werden oder vom Universitätsspital Zürich und ist Sitz von zwei Hotels und verschiedenen Gastrobetrieben. Zumindest bei den Büroflächen ist davon auszugehen, dass diese Mieterinnen und Mieter die Wertschöpfung auch generieren würden, gäbe es den Circle nicht – einfach an einem anderen Standort. Sie direkt dem Flughafen Zürich zuzuschreiben, ist deshalb zumindest fragwürdig.

Zudem sind induzierte Effekte kaum je verlässlich zu bestimmen. Einerseits wird diese Wertschöpfung ausserhalb der Branche erwirtschaftet. Andererseits geht die Rechnung gesamthaft nicht auf. «Würden alle Branchen so rechnen, erhielte man ein drei bis viermal so hohes Bruttoinlandprodukt, als wir es tatsächlich in der Schweiz haben», sagt Volkswirtschaftsprofessor Reto Föllmi dem «Lamm».

Ebenfalls erwähnenswert ist, dass es sich bei der Analyse um eine Auftragsstudie handelt. In der Begleitgruppe sassen ausschliesslich Vertreter der Flughafen Zürich AG.

Nichtsdestotrotz wird die Studie von den Vertretern des Flughafens genutzt, um Werbung in eigener Sache zu machen – zuletzt etwa, als der Kanton Zürich als Miteigentümer im Dezember Rechenschaft über seine Beteiligung ablegte. 

Klar ist, dass der Flughafen Zürich eine grosse Wertschöpfung generiert. Als Tor zur Welt ist er nicht nur für den Tourismus und die Schweizer Wirtschaft wichtig, die auf Verbindungen in alle Welt angewiesen ist. Die Konnektivität hilft auch bei der Ansiedlung von Firmen. Doch bei konkreten Milliardenbeträgen ist Vorsicht geboten. Hier wird eine Präzision suggeriert, die es so kaum geben kann.

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