Swissrailvolution kämpft für neue Hochgeschwindigkeitsstrecken: «Wir haben Milliardenbeträge verschwendet»

Braucht es mehr davon? Das Südportal des Gotthard-Basistunnel. Bild: SBB

Braucht die Schweiz neue Hochgeschwindigkeitsstrecken? Ja, findet der Verein Swissrailvolution. In seinem Vorstand sitzen etwa der frühere Ständerat Filippo Lombardi und der frühere VBZ-Chef Guido Schoch. Im Interview erläutert Generalsekretär Tobias Imobersteg die Pläne des Vereins.

von Stefan Ehrbar
22. Februar 2022

Herr Imobersteg, was ist Swissrailvolution?
Der Marktanteil des öffentlichen Verkehrs stagniert seit mehr als 10 Jahren trotz grosser Investitionen in die Bahn. Der Bundesrat hat sich nun gar zum Ziel gesetzt, den Marktanteil in Personenkilometern bis 2050 zu verdoppeln, was eher zu wenig ist. Und ein Konzept wie er dieses Ziel erreichen will, fehlt. Mit unserem Konzept wollen wir aufzeigen, wie die notwendigen Kapazitäten für den Umstieg von der Strasse auf die Schiene geschaffen werden. Wir wollen die Strassen entlasten und eine Alternative zum Flugzeug bieten.

Ihnen schwebt ein Netz von zwei Hochleistungsachsen auf der Nord-Süd-Achse und der Ost-West-Achse. Was macht eine solche Hochleistungsachse aus?
Eine Hochleistungsachse muss nicht zwangsweise eine Hochgeschwindigkeitsachse sein. Dennoch, mit einer weiteren Verdichtung des Takts können wir das Umsteigen vom Auto auf den öffentlichen Verkehr nur noch beschränkt fördern. Die Züge sind in der Schweiz im internationalen Vergleich eher langsam unterwegs und die Fahrzeiten sind häufig nicht konkurrenzfähig mit dem Auto. Unser Konzept sieht daher auch den Ausbau der Ost-West- und der Nord-Süd-Achse, von Grenze zu Grenze, zu Hochleistungsachsen aus, welche die Fahrzeiten für viele nationale und europäische Relationen verkürzen und nötige zusätzliche Kapazitäten schaffen. Ganz zentral ist aber, dass der Verkehr nicht nur auf diesen Achsen verbessert wird, sondern auf dem ganzen Schweizer Netz mit grosser Pünktlichkeit und guten Anschlüssen. Letztlich zählt ja nicht die Fahrzeit von Bahnhof zu Bahnhof, sondern von Tür zu Tür.

Dieses Netz schwebt Swissrailvolution vor. Bild: zvg

Die europäische Dimension ist ihnen wichtig. Warum?
In Europa herrscht grosse Einigkeit – zum Teil selbst bei Fluggesellschaften – dass wir zu viel
Kurzstreckenverkehr in der Luft haben, der bei schnelleren Bahnverbindungen besser mit der Bahn
abgewickelt werden sollte. Die Schweiz muss besser mit Tag- und Nachtverbindungen in das
europäische Hochgeschwindigkeitsnetz eingebunden sein, damit es uns so gelingt, den Verkehr von der Luft auf die Bahn umzulenken. Auf der Ost-West-Achse sind St. Gallen und Genf heutzutage fast
Kopfbahnhöfe. Aber nicht nur die Verknüpfung stimmt nicht, auch die Reisezeiten sind schlecht: Von
Zürich nach Lyon dauert die Fahrt länger wie von Lyon nach Barcelona.

Nun arbeiten die Behörden aber an der Vision der Bahn 2050, welche die Verdoppelung des
Modal Split vorsieht.

Wir sind sehr gespannt auf die Unterlagen. Klar ist: Der Modal Split des ÖV stagniert seit Jahren, mit Corona ist er noch gesunken. All die Milliarden, die wir seit dem Ende von Bahn 2000 investiert haben, haben bezüglich Verbesserung des Modal Split wenig gebracht, oder konnten wenigstens eine Verschlechterung verhindern. Gemäss früheren Prognosen sollten wir heute auf einem sehr viel höheren ÖV-Anteil sein. Irgendwas stimmt nicht. Einen besseren Modal Split erreichen wir nur, wenn wir schneller von Tür zu Tür werden. Auf der ganzen Welt gab es nur grosse Sprünge im Modal Split bei einer Verkürzung der Fahrzeit, sofern bereits ein gutes Angebot vorhanden war mit guter Taktdichte und angemessenen Preisen. Deshalb sagen wir: Es braucht wieder ein Konzept wie Bahn 2000. Wir müssen uns fragen: Wo sind die Kundenbedürfnisse? Wo können wir konkurrenzfähig sein? Wo können wir mit tiefen Ausgaben pro Kilometer viel erreichen? Welche Leuchtturmprojekte können wir in der Schweiz umsetzen, welche die Leute anziehen?

Das tönt sehr teuer.
Im Moment geben wir für Ausbauten extrem viel Geld pro Kilometer aus. Diese Ausbauten unter Betrieb – hier ein neues Tunnelstück, da ein neues Gleis – verursachen meist viel höhere Kosten als eine Neubaustrecke. Zudem benötigen sie Sonder- und Baustellenfahrpläne und verursachen Verspätungen über Jahre hinweg. Damit lockt man keine Kundschaft an, im Gegenteil, man vergrault sie. Neubaustrecken behindern den laufenden Betrieb viel weniger.

Warum?
Wir haben mit der Etappierung sehr viel Geld verschwendet, nämlich Milliardenbeträge. Und das nur, weil wir kein Langfristkonzept haben. Bestes Beispiel ist der Zimmerberg-Basistunnel II, den man im Rahmen der NEAT für 400 Millionen Franken direkt bis Baar hätte weiterziehen können. Jetzt kostet es wohl rund 1,5 Milliarden. Das Gleiche mit dem Bahnhof Stadelhofen: Statt für damals 50 Millionen Franken muss nun für 1,1 Milliarden Franken ein viertes Gleis gebaut werden. Und dasselbe droht für Milliardenbeträge zwischen Lausanne und Genf zu passieren. Deshalb braucht es einen langfristigen Plan.

Trotzdem dürfte ihr Projekt noch einmal deutlich teuer werden.
Ein Vollausbau der Nord-Süd und der Ost-West-Achse, wie wir ihn längerfristig vorstellen, wird sicher nicht billig. Klar muss es ein etappiertes Vorgehen geben, aber in sinnvollen grossen Etappen. Denn zu viele kleine Etappen lassen die Kosten pro Kilometer steigen sowie die Anzahl an Störungen, die durch Baustellen verursacht werden. Es muss also investiert werden, wenn wir eine landesweite kohärente und langfristig angelegte Planung schaffen möchten.

Warum lohnt sich das?
Gemäss dem Bundesamt für Statistik verursacht die Bahn in der Schweiz nur 12% der gesamten Mobilitätskosten, erbringt aber ungefähr 20% der Personenkilometer und 37% der Tonnenkilometer im Güterverkehr. Gesamtwirtschaftlich gesehen ist die Bahn also 2-3 mal billiger als andere Verkehrsträger.

Was könnte schon in kurzer Frist umgesetzt werden?
Wir beschäftigen uns mit den langfristigen Ausbauten. Es gibt aber beispielsweise eine Reihe von TGVs, die in Mulhouse enden. Wenn man nur schon die bis Basel weiterziehen würden, könnte viel erreicht werden. 

Die Behörden wollen aber Mehrverkehr verhindern.
Mehrverkehr darf kein Selbstzweck sein. Zweck des Ausbaus muss das Umlenken auf das umweltfreundlichere Verkehrsmittel Bahn sein. Dies erreichen wir nur, wenn die Bahn attraktiver wird und der Ausbau im Rahmen eines Gesamtverkehrskonzeptes geschieht, welches auch den Strassenverkehr miteinschliesst. Die Bahn verbraucht nur 4,8 % der für Mobilität benötigte Energie. Selbst dessen Verdoppelung würde bei einer Verkehrsverlagerungspolitik zu einer Senkung des gesamten Energiekonsums führen. Der CO2-Ausstoss ist noch viel geringer. Die Schweizer Bahnen stossen in einem Jahr so viele CO2-Emissionen aus wie die Autos an einem Tag. Die Bahnen sind ein Gewinn für das Klima und für die Energiewende..

Tobias Imobersteg. Bild: zvg

Auf diesen Hochleistungsachsen wären auch Binnenpendler unterwegs. Sie sollen deshalb in den Taktfahrplan passen. Was bedeutet das konkret?
Konkret bedeutet dies, dass der Taktfahrplan, wie er in Bahn 2000 vorgesehen war, endlich fertiggestellt wird und St. Gallen sowie Lausanne endlich zu vollwertigen Knotenbahnhöfen werden. Anschliessend müssen die Hochleistungsachsen aus einer wachsenden Zahl von Neubaustrecken
bestehen.

Das würde viel neue Infrastruktur bedeuten: Tunnels, Viadukte, Brücken. Das bedeutet Millionen Tonnen von Beton, die verbaut werden und hohe CO2-Emissionen. Macht das Sinn?
Es ist klar: Infrastruktur zu bauen, Beton zu giessen, Tunnels zu bohren – das verursacht CO2-Emissionen. Aus Sicht des Klimas müssen wir deshalb unsere Infrastrukturmassnahmen gezielt auswählen. Aber: Sobald eine Bahnstrecke gebaut ist, verursacht sie praktisch kein CO2 mehr. Unsere heutige Infrastruktur ist im Wesentlichen 150 Jahre alt. Die Urinvestition ist längst abgetragen.

Wie kommen Sie darauf?
Für die Hochgeschwindigkeits-Strecke von Dijon nach Mulhouse, die 140 Kilometer lang ist, wurde eine detaillierte CO2-Bilanz erstellt. Sie berücksichtigt sogar die Emissionen, die von den zur Planung eingesetzten Computern ausgehen. Die Ergebnisse zeigen: Der Bau der Strecke setzte so viel CO2 frei wie der Flugverkehr zwischen Basel und Paris während zehn Jahren. Doch dafür können jahrzehntelang sehr viele Flüge und auch Autofahren und Lastwagen eingespart werden. Die Bilanz ist sehr positiv.

Glauben Sie, dass Ihre Ziele realistisch sind?
Der Verkehr ist einer der grossen CO2-Emittenten. Das Klimaproblem werden wir nur dann lösen,
wenn es uns gelingt, einen grossen Teil des Individualverkehrs auf den öffentlichen Verkehr umzulenken. Die wichtigsten Kriterien für die Wahl des Verkehrsmittels sind die Fahrzeit, die Zuverlässigkeit und die Bequemlichkeit. Ohne, dass der öV massiv schneller wird – und zwar nicht von Bahnhof zu Bahnhof, sondern Tür zu Tür – wird das Ziel des Bundesrates, den Modalsplit des öV zu verdoppeln, eine teure Illusion bleiben. Wir glauben daran, dass wir die Menschen in der Schweiz davon überzeugen können, dass der Ausbau der Bahn, wie wir ihn vorstellen, einen wesentlichen Beitrag zur Lösung der Klimaproblematik leistet. Und alle werden davon profitieren können.

Schreiben Sie einen Kommentar

Diesen Artikel kommentieren