Postauto-Chef Christian Plüss: «Ein Batteriebus kostet derzeit immer noch das Doppelte eines Dieselbusses»

Christian Plüss. Bild: zvg

Christian Plüss ist Chef von Postauto. Er rechnet damit, dass sich der Pendlerverkehr erst Ende 2027 wieder erholen wird. Bei alternativen Antrieben will sich Postauto alle Optionen offenhalten, sagt Plüss. Im Interview verrät er, wie es mit der Tochter Publibike weitergehen soll und wo die Rückgänge bei den Passagierzahlen am stärksten sind.

von Stefan Ehrbar
13. Oktober 2021

Herr Plüss, Während der Coronakrise hatte Postauto häufig etwas kleinere Einbussen als andere Busbetriebe. Wie sieht es im Moment aus?
Wir erholen uns langsam, sind aber noch nicht auf Vorkrisenniveau. Wie es bei anderen Busunternehmen aussieht, entzieht sich unserer Kenntnis, da uns keine entsprechenden Daten zur Verfügung stehen.


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Hat sich an ihrer Prognose zur Erholung etwas geändert? Wann wird es soweit sein?
Laut den neusten Prognosen der SBB sollte der Freizeitverkehr Ende 2022 und der Pendlerverkehr Ende 2027 wieder auf dem Niveau 2019 sein. Sollten sich diese Prognosen als zu vorsichtig herausstellen und der öV erholt sich schneller, würde uns das natürlich freuen.


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Wird sich ihr Passagiermix nach der Krise nachhaltig verändern – also etwa mehr Freizeitreisende und weniger Pendler?
Das hängt von vielen externen Faktoren ab wie beispielsweise den Entwicklungen des Homeoffice und des Tourismus oder der künftigen Bedeutung von virtuellen und physischen Anlässen. Für eine Prognose ist es noch zu früh.

In welchen Regionen sind derzeit die Rückgänge am stärksten und wo am wenigsten stark?
Tendenziell stellen wir derzeit etwas stärkere Rückgänge in der Ostschweiz und im Grossraum Bern fest. In der Romandie und im Tessin weniger, was allerdings auch teilweise auf ein verändertes Fahrplanangebot zurückzuführen ist.

Gibt es regionale Unterschiede darin, wie die Passagiere die Regeln wie die Maskenpflicht einhalten?
Nein, das konnten wir in den letzten Monaten nicht beobachten.


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Im Rückblick: Wie hat die Branche und wie hat Postauto die Krise bisher gemeistert? Wo orten Sie Verbesserungspotenzial?
Die Branche hat sich über Nacht zusammengerauft und sichergestellt, dass die Schweiz auch am Höhepunkt der Krise in Verbindung geblieben ist. Auf diese Leistung können wir stolz sein. In Anbetracht des Ausmasses der Krise und der schwierigen Vorhersehbarkeit der weiteren Entwicklung versuchen wir uns aber auf allen Ebenen laufend zu verbessern und unsere Leistungen optimal den Umständen anzupassen, um den Kunden auch in diesen schwierigen Zeiten den bestmöglichen öV zu bieten.

Postauto ist einer der Systemführer im ÖV. Wie hat sich dieses System bewährt?
Im Frühling des letzten Jahres mussten wir zuerst unsere Rolle finden. Auf dem Papier waren wir ja bereits Systemführer, aber in der Praxis kam diese Funktion nie zur Anwendung. Nachdem wir bei uns interne Abläufe und Zuständigkeiten geklärt hatten, lief die Systemführerschaft sehr gut. Die Kooperation mit der SBB als Systemführerin für die Schiene und den Behörden (BAV/BAG) läuft inzwischen reibungslos. Wir haben auch den Eindruck, dass unsere Arbeit von den anderen Transportunternehmen geschätzt wird. Eine wichtige Aufgabe ist es zu klären, was die verschiedenen Vorgaben des Bundes konkret für den öV bedeuten.


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Mit welchen Massnahmen könnten Menschen, die weiterhin zögern, den ÖV zu benützen, wieder zurückgeholt werden?
Die wichtigste Massnahme ist wenig spektakulär: Durch die Einhaltung unseres Schutzkonzeptes stellen wir weiterhin sicher, dass die Massnahmen des Bundes umgesetzt werden und die Nutzung des öV in der Schweiz sicher bleibt. In der Pandemie haben wir aber auch gemerkt, dass sich unsere Kunden flexiblere Abo-Formen wünschen. Wir arbeiten in der Branche an verschiedenen neuen Modellen, die über die klassischen Formen wie z.B. Monats- und Jahresabos hinausgehen. Auch der Ruf nach digitalen Bezahllösungen ist in der Krise laut geworden und wir bieten unseren Kunden neu auch die Möglichkeit an, in den meisten Fahrzeugen mit Twint zu bezahlen. Ausserdem versuchen wir auch wieder über die Marketing-Kommunikation, um unsere Kunden zu einer vermehrten Nutzung des öV zu bewegen.

Ein grosses Thema ist die Elektrifizierung von Busflotten. Auf ihrer Internetseite heisst es, «langfristig» sollten alle Postautos fossilfrei unterwegs sein. Können Sie das präzisieren?
Unsere Ambition ist klar: Bis Ende 2024 wollen wir 100 Fahrzeuge mit alternativen Antrieben in Verkehr setzen, bis 2040 soll die ganze Flotte von derzeit 2400 Fahrzeugen ohne fossile Treibstoffe unterwegs sein.

Wo gibt es die grössten Probleme?


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Ich sehe aktuell viel eher Chancen. Allen ist klar, dass die E-Mobilität kommen wird. Die Frage ist nur wann, und da sind die Kantone noch nicht alle gleich weit. Unsere Aufgabe ist es, mit innovativen Konzepten, Wege für den Wandel hin zu alternativen Antrieben aufzuzeigen. Im Bereich der Planung und der Ausschreibung neuer Fahrzeuge haben wir uns inzwischen das nötige Know-how aufgebaut. Bezüglich der Finanzierung sind wir dann auf einen Effort der Kantone oder Gemeinden als Besteller unseres Angebots angewiesen. Einerseits kostet ein Batteriebus derzeit immer noch das Doppelte eines Dieselbusses. Andererseits müssen wir flächendeckend eine neue Lade-Infrastruktur aufbauen. Wir vergleichen diese Transformation jeweils mit dem Umstieg von Pferdekutschen auf Postautos mit Verbrennungsmotoren vor über 100 Jahren.

Gibt es schon Lösungen für Linien in Bergregionen?
Auf langen und topographisch anspruchsvollen Strecken wäre derzeit ein Brennstoffzellenfahrzeug einem Batteriebus überlegen. Bloss gibt es in diesem Sektor noch nicht allzu viele geeignete Busmodelle, zudem muss auch hier die Tankinfrastruktur aufgebaut werden und es stellt sich ebenfalls die Frage der Finanzierung sowohl der Fahrzeuge wie auch des Wasserstoffs.

Welche Modelle kristallisieren sich als besonders erfolgsversprechend heraus?
In Bezug auf die Technik halten wir uns bewusst alle Optionen offen. Im Moment gibt es das grösste Angebot im Bereich der Batteriebusse. Sie liegen im Trend, viele Städte bestellen derzeit im grösseren Stil Batteriebusse, was sich auf das Angebot auswirkt. Aber wir halten auch die Entwicklung bei Brennstoffzellenbussen sowie bei den synthetischen Treibstoffen im Auge.

Die Verträge von Publibike mit Bern und Zürich laufen noch bis 2023. Wissen Sie schon, wie es dort weitergeht – werden sie sich noch einmal bewerben?
PubliBike ist weiterhin sehr interessiert, als bewährter Dienstleister Partner von Bern und Zürich zu bleiben. Wir sind in diesen Städten seit 2018 sehr präsent: Je 1 Million Mal jährlich leihen unsere Kundinnen und Kunden in Bern und Zürich ein PubliBike aus. Wir warten gespannt auf die Ausschreibungen.

Zuletzt musste Publibike bei der Expansion zurückbuchstabieren, etwa in Genf und Chur. Werden Sie nun weitere Städte erschliessen?
Wir haben in Genf und Basel nicht offeriert. Die Vertragsbedingungen passten nicht zu unserem Profil. Unser Schwerpunkt liegt auf der Verdichtung der bestehenden acht Netze, für neue Ausschreibungen sind wir aber offen.


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Konnte Publibike vom Veloboom durch Corona profitieren?
Ja. In den Städten sind viele aufs Velo umgestiegen. Gleichzeitig gab es wegen dem Homeoffice und der teils geschlossenen Schulen weniger Pendlerinnen und Pendler, die PubliBike gefahren sind. Die Anzahl Kundinnen und Kunden nimmt stetig zu: Januar 2019 50’000 Kunden. Januar 2020: 106’000. Januar 2021: 144’000, September 2021: 185’000.

Sie hatten vor einem Jahr gesagt, dass Postauto einen Partner für Publibike sucht und die Tochter allenfalls auch verkaufen könnte. Wie ist der aktuelle Stand?
PubliBike ist seit 2021 eine Tochter der Post. Die Post ist weiterhin auf der Suche nach geeigneten Partnern, die für PubliBike auf Grund von strategischen und betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten Sinn machen.

In der Coronakrise hat die Beliebtheit von digitalen und kontaktlosen Absatzkanälen weiter zugenommen. Wie hoch ist dieser Anteil derzeit bei Postauto?
Während Corona hat der digitale Ticketerwerb zugenommen, insbesondere da der Verkauf beim Fahrer während der Hochphase der Krise nicht mehr möglich war. 2019 wurden 44% der Einzelbillette digital erworben, 2020 waren es 55% und 2021 sind es bis jetzt durchschnittlich 56%.

Wie lange wird es den Ticketverkauf in den Bussen noch geben?
Wir prüfen derzeit die Zukunft des Ticketverkaufs in den Postautos. Entscheide sind aber noch keine gefallen. Während der Pandemie hat die Nachfrage nach digitalen Bezahlmöglichkeiten zugenommen. Darauf haben wir nun in einem ersten Schritt mit der Einführung von Twint als Bezahlmöglichkeit reagiert. Diese Möglichkeit besteht seit dem 1. Oktober 2021. Zugleich haben wir festgestellt, dass immer mehr Kundinnen und Kunden ihr Ticket vor der Fahrt online lösen. Und schliesslich müssen wir immer auch Ticketverkaufs-Optionen für die sogenannten «non digitals» anbieten können. In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns beim Ticketverkauf und wollen uns auch weiter entwickeln. Aber wir gesagt: Entscheide sind noch nicht gefallen.


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Wie bewegen Sie sich selbst fort?
Ich bin sehr multimodal unterwegs: Mein Arbeitsweg beginnt typischerweise mit dem Velo zum Bahnhof, dann fahre ich die Hauptstrecke mit der Bahn und gehe die letzte Meile zu Fuss. Untertags nutze ich – je nach Verfügbarkeit und Sitzungsort- den ÖV oder nutze ein Sharing- Angebot von PubliBike oder Mobility. Und in der Freizeit nehme ich auch mein eigenes Auto.


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