
Die Stadt Zürich ist des Lobes voll über die Eigentrassen für Bus und Tram. Doch die Bilanz der letzten Jahre ist ernüchternd: Im Stammnetz hat sie eigene Spuren für die Fahrzeuge der Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) abgebaut. Prompt nahmen die Verspätungen und die Kosten zu. Warum geht die Stadt trotzdem diesen Weg?
von Stefan Ehrbar
16. Mai 2023
Damit Trams und Busse nicht in Staus stecken bleiben oder von langsameren Velos ausgebremst werden, sind sie oft auf Eigentrassen unterwegs – also vom restlichen Verkehr abgetrennten Spuren, meist in der Mitte der Fahrbahn. Diese können entweder von Bussen und Trams geteilt werden und, wenn sie nur von Trams befahren werden, zusätzlich begrünt sein, was den Lärm reduziert und einen Beitrag zur Hitzeminderung leistet.
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Zwei Gemeinderäte der FDP in der Stadt Zürich wollten nun von der Stadtregierung wissen, welchen Nutzen diese Eigentrassen haben und wie sich ihre Zahl entwickelt hat. Die Antwort des Stadtrates liegt seit kurzem vor – und sie erstaunt.
Denn zum Einen wird in der Antwort offensichtlich, welche grossen Vorteile die eigenen Spuren für den öffentlichen Verkehr haben. Zum Anderen stellt sich aber auch die Frage, wieso die Stadt Zürich angesichts dieser Erkenntnis zuletzt Eigentrassen abgebaut hat.
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Zunächst betont der Stadtrat, dass «Eigentrassees und konsequente Bevorzugung an Lichtsignalanlagen Erfolgsfaktoren eines pünktlichen und zuverlässigen ÖV» seien. In der Stadt Zürich ist dieser das mit Abstand wichtigste Verkehrsmittel: Im Jahr 2015 wurden 41 Prozent der Wege mit Start oder Ziel in der Stadt Zürich mit dem ÖV zurückgelegt. Dieser Anteil soll gemäss den Zielen der Stadt auf 45 Prozent steigen. Zum Vergleich: Der Fussverkehr kam auf 26%, das Auto auf 25%, das Velo inklusive E-Bike auf 8%.
Neuere Daten aus dem Jahr 2018 bestätigen diese Rangfolge: Die mittlere zurückgelegte Tagesdistanz einer in Zürich wohnhaften Person lag dann bei 12,7 Kilometer mit dem ÖV, bei 12,2 Kilometer mit dem Auto, bei 2,4 Kilometer zu Fuss und bei 1,3 Kilometer mit dem Velo.
«Der ÖV wird zusammen mit dem Fuss- und Veloverkehr als prioritäres Verkehrsmittel betrachtet», teilt die Stadt Zürich denn auch mit. Und hier kommen die Eigentrassen ins Spiel.
Diese seien für die VBZ «bedeutend», schreibt der Stadtrat. «Sie sind ein wichtiges Element, um attraktive Reisezeiten sowie eine hohe Zuverlässigkeit der VBZ zu garantieren. Speziell auf Streckenabschnitten mit häufiger Staubildung und Verkehrsüberlastung stellen Eigentrassees eine behinderungsfreie Fahrt für den ÖV sicher. Durch Eigentrassees können Fahrpläne zuverlässig eingehalten werden. Somit entstehen attraktive und verlässliche Reisezeiten für die Fahrgäste.»
Als Beispiel nennt die Stadt ein 200 Meter langes Eigentrasse, das auf der Wehntalerstrasse erstellt wurde. Die Streuung – also der Wert, der anzeigt, wie konstant die Fahrzeit der einzelnen Kurse ist – nahm dort von 81 auf 22 Sekunden ab.
Eine elektronische Busspur auf der Hohlstrasse wiederum, die im Oktober 2018 zwischen den Haltestellen Hardplatz und Herdernstrasse auf der Strecke der Buslinie 31 in Betrieb genommen wurde, zeigte ebenfalls grosse Wirkung.
Im Jahr 2017 hatte die mittlere Verlangsamung – also die zusätzliche Zeit pro Fahrt im Vergleich zum Normalzustand – während der abendlichen Spitzenstunde noch 37 Sekunden betragen. Das ist ein sehr hoher Wert für die gerade mal etwa 400 Meter lange Strecke. Nach der Einführung der Busspur sank diese Zahl auf 12 Sekunden. Gleichzeitig reduzierte sich die Streuung von 118 auf 23 Sekunden.
Das hat nicht nur Vorteile für die Pünktlichkeit. Je kleiner die Streuung ist, desto zuverlässiger läuft der Betrieb und desto weniger zusätzliche Kurse müssen gefahren werden, nur um den Betrieb sicherzustellen. Solche Stabilisierungskurse sind sehr teuer, denn dafür braucht es Fahrzeuge und Personal, ohne dass das Angebot ausgebaut wird. Am Beispiel der Hohlstrasse schreibt die Stadt, dass die Busspur den Einsatz eines weiteren Kursfahrzeugs verhindert habe, der mit 500’000 Franken jährlich zu Buche geschlagen hätte.
Zudem erhöht der Einsatz von zusätzlichen Kursfahrzeugen laut der Stadt die Gefahr der Paketbildung, «das heisst die Kursfahrzeuge verkehren nicht mehr in einem gleichmässigen Takt, sondern nah aufeinander bzw. in einem engen Zeitraum nacheinander».
Einen weiteren Vorteil sieht die Stadt darin, dass Eigentrassen beim Tram, wenn diese als unabhängiger Bahnkörper (UBK) gebaut werden – also baulich vom übrigen Strassenraum abgetrennt sind – eine höhere Geschwindigkeit ermöglichen. Wenn beispielsweise auf einer Strasse Tempo 30 signalisiert ist, kann das Tram auf dem UBK weiterhin mit Tempo 50 verkehren.
Wie wichtig solche Eigentrassen sind, zeigt die Stadt auch anhand von Beispielen auf, bei denen ein bestehendes Eigentrasse aufgehoben wurde.
- Der Abbau des Eigentrasse auf der Limmattalstrasse in Höngg habe vor allem in der Abendspitze zu einer «Destabilisierung» geführt. Das Tram 13 und die Buslinie 80 stünden nun des öfteren im Stau.
- Eine Verschlechterung zeigte sich entlang der Witikonerstrasse, wo eine 120 Meter lange Busspur stadtauswärts aufgehoben wurde. Der Streuungswert stieg von 61 auf 74 Sekunden.
- Die Aufhebung einer gerade einmal 50 Meter langen Busspur entlang der Wallisellerstrasse führte dazu, dass die Verlustzeit des Busses von 6 auf 11 Sekunden stieg und die Streuungswerte von 20 auf 34 Sekunden.
Wer nach Nachteilen der Eigentrassen sucht, muss in der Antwort der Stadt lange suchen. Nur einer wird erwähnt: Die Flächenkonkurrenz zu anderen Verkehrsmitteln – wobei kaum das Auto gemeint sein kann, dem die Stadt sowieso Flächen wegnehmen will, sondern eher das Velo.
Erstaunlicherweise hat die Stadt Zürich trotz dieser klaren Datenbasis die Zahl der Eigentrassen in den letzten Jahren auf dem Bestandesnetz reduziert.
Zwischen 2019 und 2022 entstanden dort 1,29 Kilometer neue Eigentrassen. Abgebaut wurden hingen 2,4 Kilometer Eigentrassen.
Insgesamt hat das Tramnetz in Zürich eine Länge von 152 Kilometer, wobei 126 Kilometer auf Eigentrassen verlaufen. Das Busnetz ist 265 Kilometer lang mit 52,6 Kilometer Eigentrassen. Auf 28,3 Kilometer davon wird das Eigentrasse des Trams mitbenutzt. Insgesamt sind so 43 Prozent der ÖV-Strecken in der Stadt Zürich als Eigentrasse ausgestaltet.
Dass insgesamt trotzdem ein leichtes Plus bei den Eigentrassen in dieser Zeitperiode resultierte, liegt an den neuen Tramverbindungen über die Hardbrücke und an der neuen Limmattalbahn vom Bahnhof Altstetten bis zur Stadtgrenze. Mit diesen Erweiterungsprojekten wurden 2,9 Kilometer Eigentrassen gewonnen.
Dass die Aufhebung von Eigentrassen negative Auswirkungen hat, zeigt sich auch in der Langstrassen-Unterführung. Dort hat die Stadt eine Busspur zugunsten einer Velospur aufgehoben, die allerdings kaum genutzt wird, weil die allermeisten Velofahrer weiterhin die Velospur im parallel verlaufenden Fussgängertunnel benutzen. Das zeigen die öffentlich verfügbaren Messdaten der Stadt.
Zu diesem Abschnitt liegen laut der Stadt zwar noch keine Daten vor. Doch die VBZ haben beim Zürcher Verkehrsverbund (ZVV) just nach Einführung dieser Busspur den Einsatz eines weiteren Kursfahrzeuges beantragt, um den Betrieb zu stabilisieren. Das geht aus den Dokumenten der Regionalen Verkehrskonferenz hervor.
Warum die Stadt Eigentrassen aufgehoben hat, gibt der Stadtrat in seiner Antwort nicht bekannt. Allgemein gehalten heisst es nur, Eigentrasseen stünden «im begrenzten öffentlichen Strassenraum in Flächenkonkurrenz zu anderen wichtigen Anforderungen wie beispielsweise Stadtgrün und Bäumen, Fussverkehrs- und Aufenthaltsflächen, Veloinfrastrukturen sowie Flächen für Anlieferung und Parkierung.»
Weiter heisst es: «Mit zusätzlichen Abschnitten mit Mischverkehr ÖV/motorisiertem Individualverkehr (MIV) besteht die Gefahr, dass die Zuverlässigkeit und damit die Attraktivität des ÖV beeinträchtigt wird. Die Störungsanfälligkeit kann durch zusätzliche Mischverkehrsabschnitte zunehmen, da Abhängigkeiten mit überlasteten Kreuzungen und Strassenabschnitten bestehen. Auf stark verkehrsbelasteten Strecken ist die Priorisierung des ÖV in Mischverkehrsflächen herausfordernd, da Mischverkehrsflächen vom MIV geräumt werden müssen. Nur mit gleichzeitiger Reduktion des MIV auf derselben Strecke kann die Attraktivität des ÖV auch künftig erhalten werden.»
Wieso also hebt die Stadt Eigentrassen auf, wenn sie schon weiss, wie unverzichtbar diese für einen attraktiven ÖV sind?
Evelyne Richiger vom Tiefbauamt der Stadt gibt gegenüber Mobimag Auskunft. «Der öffentliche Strassenraum ist begrenzt», schreibt sie. «Mit dem Klimawandel und der Innenentwicklung steigen die Anforderungen an den öffentlichen Raum. Die Strassen und Plätze müssen zu attraktiven, vielfältig nutzbaren Freiräumen werden, Bäume müssen zur Hitzeminderung beitragen und das Verkehrssystem muss eine höhere Nachfrage bewältigen. Diese Anforderungen können nur erfüllt werden, wenn das Verkehrssystem effizienter gestaltet wird und die Flächenansprüche des Verkehrs reduziert werden.»
Von der Flächenumverteilung zugunsten Stadtraum, Stadtgrün sowie Fuss- und Veloverkehr sei situativ auch der öffentliche Verkehr respektive Eigentrassees betroffen. «Dank Reduktion des motorisierten Individualverkehrs, Verkehrslenkung und Verkehrsmanagement kann auch ohne Eigentrassierung abschnittsweise ein verlässlicher öffentlicher Verkehr sichergestellt werden.»
Die Aufhebung der ÖV-Spur in der Badenerstrasse stadteinwärts habe zu einer Aufwertung des Stadtraums geführt. Die Aufhebung des Eigentrasse an der Stampfenbachstrasse habe Platz für eien Velostreifen und die Verbesserung der ÖV-Haltestellen geschaffen. Die Aufhebung der Eigentrassen an der Witikoner- und Wallisellenstrasse begründet die Stadt mit dem Bau einer Velospur. Sie verteidigt auch die neue Velospur in der Langstrassen-Unterführung. «Die seitlichen Unterführungen für den Fuss- und Veloverkehr sind schmal und Konflikte zwischen Fussgänger*innen und Velofahrer*innen an der Tagesordnung», schreibt Richiger. «Mit der Aufhebung der Busspur zugunsten von je einem Velostreifen pro Richtung konnte ein duales Angebot angeboten werden. Insbesondere schnelle Velofahrer*innen nutzen die grosse Unterführung, sodass die Konflikte in den seitlichen Unterführungen minimiert werden konnten.»
Die Stadt rechnet damit, dass auch künftig Eigentrassen verschwinden werden. «Die Ansprüche an den begrenzten öffentlichen Raum zu und der Flächenbedarf für den Verkehr muss in einer dichten Stadt reduziert werden», so Richiger. «Da eine Addition der Nutzungsanforderungen nicht möglich ist, müssen Koexistenzlösungen mit Überlagerungen der Nutzungsansprüche gefunden werden. Entsprechend ist damit zu rechnen, dass auch künftig Eigentrassees in der Stadt Zürich zurück gebaut werden.» Mit einer gesamthaften Reduktion des motorisierten Individualverkehrs, Verkehrslenkung und -management könne aber auch bei Mischverkehrslösungen MIV/ÖV «ein attraktiver und verlässlicher öffentlicher Verkehr sichergestellt werden».
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Die Antwort des Stadtrats als PDF (externe Seite)” funktionniert nicht (Dokument nicht auffindbar Error 404). Excellent article. Les transports publics de Zurich étaient cités en exemple au niveau mondial au siècle dernier, notamment par les Français qui faisaient la promotion du transport public, et le tram 2043 avait été la vedette d’une exposition sur les transports à Nancy en 1978. Aujourd’hui, c’est la stupidité de Paris, qui a supprimé de nombreux couloirs bus au profit des vélos, qui inspire Zurich !!!. Le monde est devenu fou et d’ailleurs un prix mondial a été remis à Paris pour cette action en faveur des vélos (mais en défaveur des bus). Le grand malheur, c’est que cette folie a gagné Zurich. Le bon sens et pragmatisme suisses volant en éclat, c’est difficile à croire, et pourtant. Hochachtungsvoll
Besten Dank für den Hinweis und den Kommentar! Der Link sollte nun wieder funktionieren.