In Berlin kann der ÖV seit dieser Woche für 29 Euro im Monat genutzt werden. Die Nachfrage ist allerdings kleiner als gedacht. Ausserdem im Blick aufs Ausland mit Links zu spannenden Geschichten: Langstrecken-Flüge haben einen riesigen Einfluss auf die CO2-Emissionen des Verkehrs – und darum steckt die Deutsche Bahn in der Krise.
von Stefan Ehrbar
5. Juli 2024
Berlin lanciert 29-Euro-Ticket
Seit diesem Montag können Menschen in Berlin mit dem neuen Berlin-Abo die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen. Es kostet 29 Euro pro Monat und ist gültig auf dem Netz der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) und der S-Bahn Berlin im Tarifbereich AB. In diesen gilt es auch auf Regionalzügen.
Wie die «Berliner Zeitung» schreibt, rechnet der Senat – die Regierung der Stadt – mit bis zu 400’000 Kundinnen und Kunden. Das würde etwa einem Zehntel der Bevölkerung entsprechen. Diese Zahl wurde nach unten korrigiert.
Der Vorverkauf für das Abo hatte am 23. April begonnen. Gemäss Angaben der Senatsverwaltung haben bereits etwa 165’000 Menschen das neue Angebot gekauft. Etwa 20 bis 30 Prozent davon hatten zuvor kein Abo der öffentlichen Verkehrsmittel.
Wie es im Artikel heisst, gibt es das neue Abo nur mit einer Mindestvertragslaufzeit von zwölf Monaten. Als einzelne Monatskarte könne es nicht gekauft werden – ausser, man zieht aus Berlin weg. Es gibt keine ermässigten Abos für Kinder oder Senioren.
Das Berlin-Abo ist als personalisierte Chipkarte oder als personalisiertes Handyticket erhältlich. Rund 80 Prozent der Kundinnen und Kunden, die das Abo bei der BVG gekauft haben, haben sich für die Chipkarte entschieden, nur 20 Prozent für das für die ÖV-Betriebe weniger aufwändige Handy-Ticket.
Doch was bringen Angebote wie das neue Berlin-Abo? Laut dem Berliner Senat geht man nicht einmal davon aus, dass die erwähnten 20 bis 30 Prozent, die zuvor kein ÖV-Abo besassen, neu zum ÖV gewechselt sind. Viel eher hätten diese zuvor Einzel- oder Tageskarten gekauft.
Die Nachfrage nach dem neuen Abo sei auch nicht so gross wie jene nach dem Deutschlandticket. Dieses ermöglicht die Nutzung aller öffentlichen Nahverkehrsmittel in ganz Deutschland für 49 Euro im Monat. Das Deutschlandticket gibt es zudem auch als Firmenticket für maximal 34,30 Euro pro Monat.
Derweil könnte der Preis für das Deutschlandticket steigen. Nicht nur der deutsche Finanzminister Christian Lindner hatte dies zuletzt gefordert. Auch Winfried Herrmann (Grüne), der Verkehrsminister von Baden-Württemberg hatte vor wenigen Tagen laut swr.de davor gewarnt, dass der Preis wegen Budget-Streitigkeiten zwischen dem Bund und den Ländern steigen könnte.
Der CO2-Einfluss von Langstrecken-Flügen
Reisen über eine Distanz von über 50 Meilen (80 Kilometer) machen weniger als 3 Prozent aller Reisen von Einwohnern des Vereinigten Königreichs aus. Dennoch sind sie für 70 Prozent aller reisebedingten Kohlestoffemissionen verantwortlich.
Das berichtet die University of Leeds diese Woche mit Verweis auf neue Forschungsergebnisse. Die Diskrepanz sei sogar noch höher, wenn man nur den internationalen Reiseverkehr betrachte. Dieser mache nur 0,4 Prozent aller Reisen aus, sei aber für 55 Prozent der Emissionen verantwortlich. Das Ausmass der Auswirkungen von Fernreisen sei also sehr gross, heisst es in einem Artikel zur Veröffentlichung neuer Zahlen in der Fachzeitschrift «Nature Energy».
Die Ergebnisse zeigten, dass die gezielte Reduktion von Fernreisen wirksamer sein dürfte, um die Emissionen zu senken, als die derzeitigen Bemühungen, die sich grösstenteils auf den Nahverkehr und Pendlerfahrten konzentrierten.
Während die Zahl der inländischen Lang- und Kurzstreckenfahrten im Vereinigten Königreich mit dem Auto in den letzten 25 Jahren leicht zurückgegangen sei, habe der internationale Flugverkehr erheblich zugenommen. Das sei auf eine Zunahme der Reisen mit dem Ziel, Freunde und Familien zu besuchen sowie von Reisen zu Freizeitzwecken zurückzuführen.
«Die Tatsache, dass nur weniger als 3 Prozent unserer Reisen für etwa 60 Prozent der zurückgelegten Kilometer und 70 Prozent der Emissionen verantwortlich sind, zeigt, wie wichtig Fernreisen im Kampf gegen den Klimawandel sind», wird Zia Wudd vom Institut for Transport Studies and School of Chemical and Process Engineering zitiert.
Die Studie habe gezeigt, dass eine Verlagerung aller Autofahrten unter acht Meilen (13 Kilometer) auf das Gehen oder Velofahren zu einer Verringerung der Kohlestoffemissionen um 9,3 Prozent führen würde. Dazu müssten 55 Prozent aller Fahrten verlagert werden. Würden dagegen alle Flüge unter 1000 Meilen auf die Schiene verlagert, ergäbe sich eine Verringerung der Emissionen um 5,6 Prozent, aber nur 0,17 Prozent der Fahrten wären betroffen. Noch wirksamer wäre eine Beschränkung auf eine Fernreise mit dem Flugzeug pro Jahr.
Wo die Deutsche Bahn noch Investieren muss
Die Deutsche Bahn (DB) kämpft seit Jahren mit einem Investitionsstau und einem in Teilen maroden Schienennetz. Wie gross das Problem ist, hat diese Woche auch die internationale Finanzpresse beschrieben.
«Die Deutsche Bahn kämpft gegen den Ruf der Reisehölle», überschreibt die «Financial Times» einen Artikel. Verspätungen belasteten das einst so angesehene deutsche Schienennetz, massive Reparaturarbeiten würden noch anstehen, heisst es im Text.
Auch die Fussballfans der derzeit in Deutschland stattfindenden Europameisterschaften seien zum Teil schockiert über die Qualität des Eisenbahnverkehrs in Deutschland.
Vor kurzem habe die DB Journalistinnen und Journalisten auf eine Reise von Berlin nach Frankfurt mitgenommen, um die umfangreichen neuen Investitionen ins Schienennetz zu präsentieren, heisst es im Artikel. «Ihr Zug hatte 45 Minuten Verspätung.»
Solche Verspätungen seien inzwischen «typisch für ein Bahnsystem, das früher für schnittige, schnelle Effizienz stand und heute ein Synonym für die Reisehölle ist.» Letztes Jahr seien nur zwei von drei Fernverkehrszügen pünktlich angekommen. Die Schweiz denke sogar darüber nach, deutsche Züge aus ihrem Netz zu streichen, weil sie so oft zu spät kommen. Das trifft allerdings nur teilweise zu, solche Überlegungen gab es zwar beim Bundesamt für Verkehr, nicht aber bei der SBB.
«Mit diesem Verkehrschaos ist die Bahn zu einer nationalen Blamage geworden», wird Ulrich Lange zitiert, der verkehrspolitische Sprecher der oppositionellen Christdemokraten.
«Die Pressereise endete so schlecht, wie sie begann. Auf dem Rückweg wurden die Reporter auf einen Nahverkehrszug nach Frankfurt verwiesen, der mit 35 Minuten Verspätung ankam. Dadurch verpassten viele ihren Anschluss nach Hause», schreibt die britische Finanzzeitung. Wolfang Winhold, der für das Programm zur Erneuerung der Infrastruktur zuständige DB-Vorstand, sagt, natürlich sei das ärgerlich. Aber es sporne die Bahn auch an, es besser zu machen.
«Der Grund für den schlechten Service ist einfach – Abnutzung und Verschleiss. Jahrelange Unterinvestitionen haben dazu geführt, dass sich die für einen reibungslosen Bahnbetrieb erforderliche Ausrüstung – Stellwerke, Oberleitungen, Kreuzungen, Weichen und Gleise – in einem schlechten Zustand befindet», heisst es im Artikel. Der Infrastrukturchef der Deutschen Bahn Berthold Huber sagt, man habe das System «jahrzehntelang in den Sand gesetzt». Jetzt sei man an einem Kipppunkt.
Verschärft worden seien die Probleme durch den enormen Anstieg der Nachfrage nach Bahnreisen in den letzten Jahren. «Mehr Menschen als je zuvor fahren mit der Bahn. Dazu beigetragen hat der Erfolg des Deutschlandtickets», schreibt die Zeitung. Zwar sei die Zunahme des Bahnverkehrs gewollt. In Kombination mit massiven Unterinvestitionen habe das aber zur aktuellen Krise geführt.
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