Die Kosten für den regionalen ÖV steigen bis 2035 um 30 Prozent – Staat soll jährlich 2,5 bis 3,5 Prozent mehr bezahlen

Schön, aber teuer: der regionale ÖV. Bild: Pascal Debrunner/Unsplash

Der Verband öffentlicher Verkehr (VöV) prognostiziert massive Mehrkosten für den regionalen öffentlichen Verkehr (RPV) und den Ortsverkehr in den nächsten Jahren. Ein Angebotsabbau komme aber nicht infrage. Bezahlen sollen die Nutzerinnen und Nutzer – und der Staat. Die Unternehmen hingegen seien schon so effizient wie möglich.

von Stefan Ehrbar
25. Juni 2024

Die Kosten für S-Bahnen, Busse und Trams dürften bis ins Jahr 2035 um etwa 30 Prozent steigen. Damit rechnet der Branchenverband öffentlicher Verkehr (VöV). Zwar dürften die Billettpreise steigen und die Kundinnen und Kunden «einen grossen Teil dieser Mehrkosten tragen». Doch das reiche nicht: Auch die Besteller – also der Bund, die Kantone und die Gemeinden – «werden einen Teil davon übernehmen müssen».

Die Kostenexplosion zu dämpfen, indem das Angebot reduziert wird, kommt für die ÖV-Branche nicht infrage. Das werde «entschieden abgelehnt», hält Renato Fasciati, der VöV-Präsident und Chef der Rhätischen Bahn, in einer Mitteilung vom Mittwoch vergangener Woche fest.

Eine wachsende Schweiz brauche einen wachsenden ÖV, so der Verband. Das führe zu Mehrkosten. Der öffentliche Verkehr sei für die Schweiz von «herausragendem» Nutzen. Er bilde das Rückgrat für die Mobilität, sei in der Bevölkerung verankert und ein zentraler Faktor für die Attraktivität des Standorts und für die Arbeitswege.

Die Kostenprognose des VöV gilt für den Regionalen Personenverkehr (RPV) und den Ortsverkehr. Bei Ersterem handelt es sich um den klassischen regionalen ÖV mit S-Bahnen, Bussen oder Regionalzügen, bei Letzterem um den öffentlichen Verkehr innerhalb von Städten.

Nicht betroffen sind die beiden anderen Formen des ÖV, nämlich der Fernverkehr und der touristische Verkehr, die von den Unternehmen eigenwirtschaftlich betrieben werden.

An den Kosten des Ortsverkehrs – also beispielsweise an Trams und Bussen in Zürich, Bern, Basel, Luzern oder St.Gallen – beteiligt sich der Bund nicht. Dessen Defizit finanzieren die Kantone und Gemeinden alleine. Im RPV übernimmt der Bund durchschnittlich etwa 50 Prozent des Defizits, wobei die Quote je nach «strukturellen Voraussetzungen» der Kantone schwankt. Genf, Zürich und Basel-Stadt müssen beispielsweise über zwei Drittel der ungedeckten Kosten selbst berappen. Umgekehrt übernimmt der Bund im Kanton Graubünden 80 Prozent davon, in Uri 77und im Jura 74 Prozent.

Der VöV schreibt, die Planungen der Behörden aller Stufen würden «zu Recht» Angebotsausbauten vorsehen. Im Durchschnitt dürfte das Angebot um etwa ein Prozent pro Jahr wachsen. An den Mehrkosten müsse sich der Staat auf allen Ebenen beteiligen. Einen guten ÖV, der von der öffentlichen Hand verlangt werde, gebe es nun mal nicht zum Nulltarif.

Die Mehrkosten könnten auch nicht von den Transportunternehmen alleine durch verbesserte Effizienz aufgefangen werden. Der Schweizer ÖV verfüge schon über ein erfolgreiches Kostenmanagement und sei in der Lage, «Kostentreiber erfolgreich zu kontrollieren». Die Unternehmen hätten ihre Kosten im Griff, könnten aber gewisse Entwicklungen nur schwer beeinflussen.

Mehrkosten entstünden etwa durch die Elektrifizierung, also den Ersatz von Dieselbussen durch Elektrobusse, aber auch durch den Ausbau des Angebots. Den grössten Anteil am Kostenwachstum dürften aber höhere Produktionskosten haben, mit denen die Branche rechnet. Sie gehen zurück auf höhere Kosten für Energie, Personal, aber auch für die Cybersicherheit, Zinszahlungen oder den Fakt, dass vielerorts mittlerweile Leitsysteme benötigt würden, um im Strassenverkehr einen stabilen Fahrplan aufrechtzuerhalten. Wenn neue Tempo-30-Zonen eingeführt oder Busspuren für Taxis und Velos geöffnet werden, werde zudem das Vorankommen der Busse teilweise erschwert, und es seien zusätzliche Fahrzeuge nötig.

Der VöV rechnet damit, dass die Transportunternehmen das Angebot bis 2035 um etwa 10 Prozent ausbauen und die Erträge vor allem durch höhere Ticketpreise, aber auch durch Massnamen wie die Vermarktung von Werbeflächen jährlich um rund 3 Prozent steigern. Die öffentliche Hand müsse ihrerseits die Grundlage dafür schaffen, dass sie jährlich 2,5 bis 3,5 Prozent höhere Abgeltungen bezahlen könne – exklusive Teuerung.

Diese Forderung kollidiert mit der klammen Finanzlage des Bundes. Während viele Kantone zuletzt sehr gute Abschlüsse aufwiesen und mehr Spielraum haben, tritt der Bund auf die Ausgabenbremse. Allerdings bewies die ÖV-Branche in der Vergangenheit, dass sie im Parlament über eine starke Lobby verfügt und selbst kleinere geplante Budgetkürzungen abwehren kann.

Peter Füglistaler, der abtretende Direktor des Bundesamts für Verkehr, sagte kürzlich zu CH Media, Vertreter des RPV hätten sich angesichts geplanter Budgetkürzungen zuletzt gar geweigert, neue Offerten beim Bund einzureichen. «Sie sagten mir, dass sie sich via Parlament das Geld holen würden, wenn wir nicht spuren» – was ihnen auch gelang.

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