Belästigungen und Vandalismus in SBB-Zügen können nun anonym gemeldet werden – so schlimm ist die Situation im ÖV

Via QR-Code im Zug können Belästigungen gemeldet werden. Bild: bwe

Die SBB setzt auf ein neues Online-Tool. Mit diesem können Passagiere unangebrachtes Verhalten ihrer Mitreisenden melden. Dazu hat die Bahn QR-Codes in ausgewählten Fernverkehrszügen angebracht. Im öffentlichen Verkehr und an Bahnhöfen leiden besonders junge Frauen unter Belästigungen. Was bringt ein solches System?

von Stefan Ehrbar
13. Februar 2024

Im Werbespot von Schweiz Tourismus ist es so schön: Zwar steigen Roger Federer und Trevor Noah in Zürich in den falschen Zug ein, doch angesichts des traumhaften Panoramas stellt sich das als Glücksfall heraus. Nur eine ältere Dame schaut die beiden auf ihrer unverhofften Reise einmal schief an. Wer allerdings regelmässig mit dem Zug in der Schweiz unterwegs ist, erhält auch andere, weniger schöne Einblicke, die die Touristiker lieber verschweigen. Sie reichen vom rassistischen Rentner in der S-Bahn über den masturbierenden Mann im Regionalzug bis zu randalierenden Fussballfans.

Mit einem Pilotprojekt wollen die SBB nun das Sicherheitsgefühl in den Zügen verbessern. Dazu haben sie Anfang Januar QR-Codes in ausgewählten Zügen platziert mit der Aufforderung, «unangebrachtes Verhalten» anonym zu melden. Wer den Code mit seinem Handy scannt, wird zu einer Internetseite mit einem Meldeformular weitergeleitet. Gemeldet werden könnten «alle Vorfälle, die Ihnen ein unsicheres Gefühl geben», heisst es dort. Das könne Lärm, Vandalismus oder jede Form von Belästigung sein.

Zunächst werden Nutzerinnen und Nutzer darauf aufmerksam gemacht, dass das Formular nicht hilft, wenn man sich in akuter Gefahr befindet. In diesem Fall sollen Reisende die Transportpolizei anrufen. «Ihre Meldung auf dieser Website löst keine sofortige Reaktion (oder Hilfe) aus», heisst es. Auch Anzeigen können dort nicht erstattet werden. Die Codes wurden in Zügen der Intercity-Linie 5 von Genf via Biel nach Zürich und teilweise weiter nach Rorschach platziert, weil diese laut SBB-Sprecherin Jeannine Egi längere Strecken zurücklegt und zwischen Sprachgrenzen und grösseren Städten verkehrt.

Der Test läuft voraussichtlich bis Ende März. Ziel sei es, die Sicherheit und den Service für die Fahrgäste zu verbessern. Meldungen würden durch die Bahn analysiert und ausgewertet. Das Meldetool dient laut der Bahn dazu, sicherheitsrelevante Vorfälle sichtbar zu machen, die Reisende selbst erleben oder beobachten. So könne die Bahn ihr Lagebild verfeinern, Präventionsmassnahmen optimieren und ihre Sicherheitsressourcen – wie etwa die Transportpolizei – effizienter planen. Auch gehe es um die Anpassung von Unterstützungsangeboten für Betroffene.

Jeannine Egi sagt, die Sicherheit in den Zügen werde von den Reisenden zwar als hoch eingestuft. «Trotzdem kann es im Reisealltag zu Vorfällen kommen, die eine negative Auswirkung auf das Sicherheitsgefühl haben. Diese werden aber oft nicht gemeldet.» Dadurch könnten wertvolle Informationen verloren gehen, die es erlauben würden, «das Security-Lagebild weiter zu verfeinern und daraus entsprechende Sicherheitsmassnahmen abzuleiten».

Vorfälle in Zügen, in denen keine QR-Codes platziert wurden, können seit Dezember auch über ein Online-Formular gemeldet werden. Zahlen kommunizieren die SBB noch nicht. Egi verspricht, dass die Daten nicht mit Dritten geteilt werden und anonym bleiben.

Ein ähnliches Instrument lancierte die Stadt Zürich im Jahr 2021 mit dem Online-Tool «Zürich schaut hin», über das sexuelle, sexistische, homo- und transfeindliche Belästigungen gemeldet werden können. Auch dieses ersetzt keine Anzeige oder im akuten Notfall einen Hilferuf bei der Polizei, hilft den Behörden und Fachstellen aber bei der Einschätzung der Lage, vermittelt Betroffenen Beratungsangebote und Informationen dazu, wie sie sich wehren können.

Die Möglichkeit stösst auf reges Interesse: Zwischen Mai 2021 und Ende Dezember 2022 wurden 1400 Meldungen eingereicht – durchschnittlich zwei pro Tag. Alleine in den ersten acht Monaten gingen 250 Meldungen zu Belästigungen im öffentlichen Verkehr oder an Bahnhöfen ein.

Das deckt sich mit den Zahlen der jüngsten Bevölkerungsbefragung der Stadt Zürich. Diese zeigt, dass 41 Prozent der 18- bis 29-jährigen Frauen bereits ausserhalb der eigenen vier Wände belästigt wurden, 21 Prozent mehrmals. Davon gaben 41 Prozent an, dies sei am Bahnhof geschehen, in 37 Prozent der Fälle im Tram oder Bus. In der Zwischenzeit hat auch die Stadt Bern das Zürcher Tool übernommen.

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