Erstmals seit 2010 stieg in der Stadt Zürich die Zahl der Autos pro Einwohner – Pandemie-Effekt oder Trendwende?

Bei Zürchern wieder beliebter: Das eigene Auto. Bild: incusion / Pexels

Nach Jahren des Rückgangs wurden in der grössten Schweizer Stadt Ende 2020 erstmals wieder mehr Personenwagen pro Einwohner verzeichnet als im Jahr zuvor. Ein Boom wurde auch bei den Töffs verzeichnet. Ist das ein einmaliger Effekt und wie erklärt ihn sich die Stadt?

von Stefan Ehrbar
27. August 2021

Das Plus ist klein, aber es ist ein Plus. Um 0,14 Prozent stieg im Jahr 2020 die Zahl der Personenwagen pro Einwohner in der Stadt Zürich. Das zeigt eine Berechnung von Mobimag anhand von Daten des Bundesamtes für Statistik und der Stadt Zürich. Nach Jahren der rückläufigen Motorisierung der Stadtzürcher Bevölkerung erreichte dieser Wert im Jahr 2019 mit 0,3196 Personenwagen pro Einwohner das bisherige Rekordtief. Innerhalb von nur zehn Jahren war er um 11,4 Prozent gesunken.


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Doch 2020 kehrte sich das Bild: Ende Jahr betrug der Wert 0,3200 Personenwagen pro Einwohner. Der Wert aller Fahrzeuge pro Einwohner kletterte von 0,4336 pro Einwohner auf 0,4384 – ein Plus von 1,1 Prozent. Das liegt einerseits an einer starken Zunahme von Motorrädern, von denen es per Ende Jahr in der Stadt Zürich 26’147 und damit 5,6 Prozent mehr als im Jahr zuvor gab. Zugenommen hat aber auch die Zahl der Personentransportfahrzeuge und der Lieferwagen.

Handelt es sich um einen einmaligen Effekt, weil Menschen im Pandemiejahr auf den ÖV verzichteten und sich ein Auto zulegten? Fühlten sich Menschen im Auto sicherer, während sie fürchteten, sich im ÖV einfacher mit dem Coronavirus anstecken zu können? Oder legten sie sich ein Auto zu, weil sie nicht in die Ferien verreisen konnten und Geld sparen konnten – oder weil sie ins Homeoffice in die Berge wollten?


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Das Tiefbauamt der Stadt Zürich (TAZ) will von einer Trendwende nichts wissen. Auch die Zahlen zweifelt es an: Bei der Gegenüberstellung von Fahrzeug- und Einwohnerzahlen müssten viele Details berücksichtigt werden wie etwa der Anteil der Firmenwagen, der Anteil der nicht-ständigen Wohnbevölkerung oder die Altersstruktur bei Neuzuzügen, sagt Sprecherin Evelyne Richiger.

Gemäss den Zahlen des Statistischen Amts des Kantons sei die Motorisierung sowieso auch zwischen 2019 und 2020 gesunken, sagt sie, und zwar von 325.5 auf 324 Personenwagen pro Einwohner. Diese Kennzahl ist in unten stehender Grafik abgebildet.


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Wie kommen diese unterschiedlichen Zahlen zustande?

Thomas Hofer vom Statistischen Amt des Kanton Zürich sagt, er dürfte mit zwei verschiedenen Wohnsitzbegriffen zu tun haben. Der Kanton verwendet den sogenannten zivilrechtlichen Begriff: Zur Bevölkerung einer Gemeinde werden vereinfacht gesagt Personen gezählt, die in der Gemeinde gemeldet sind.

Die Stadt Zürich, auf deren Daten die Mobimag-Analyse beruht, verwendet hingegen den wirtschaftlichen Wohnsitzbegriff. Dieser umfasst laut Hofer weitere Personengruppen wie etwa WochenaufenthalterInnen. In der Regel ist diese Zahl deshalb grösser. Welche Zahl für die Berechnung des Motorisierungsgrades geeigneter ist, darauf gibt es keine wissenschaftliche Antwort.

Sowieso warnt Hofer davor, die Zahlen auf kommunaler Ebene zu verwenden – oder nur «mit der nötigen Vorsicht». Dafür gibt es laut dem Statistik-Experten folgende Gründe:

  • Firmenwagen: Firmenwagen sind laut Hofer dort lokalisiert, wo die Besitzerfirma ihren Sitz hat und fliessen dort in den Motorisierungsgrad ein. Firmen sind aber nicht gleichmässig auf Gemeinden verteilt.
  • Dasselbe gilt für Carsharing-Autos, die gerade in der Stadt Zürich sehr präsent sind. Sie zählen nicht zum Motorisierungsgrad der Stadt, sondern zu jenem des Ortes der Betreiberfirma – im Fall von Mobility etwa Rotkreuz im Kanton Luzern.
  • Dasselbe gilt für Auto-Abos: Wer ein Auto im Abo löst, nutzt dieses exklusiv. Allerdings wird auch dieses zum Motorisierungsgrad des Firmensitzes des Abo-Anbieters gezählt. Wer beispielsweise in der Stadt Zürich wohnt und ein Auto beim Marktführer Carvolution bestellt, taucht in der Statistik nicht auf. Stattdessen sorgt er für einen höheren Motorisierungsgrad im bernischen Bannwil – dem Firmensitz von Carvolution.

Dies alles führt dazu, dass der Motorisierungsgrad in der Stadt Zürich tendenziell unterschätzt wird. Mit zunehmender Beliebtheit von Carsharing und Auto-Abos dürfte sich dieser Effekt noch verstärken.

Hinzu kommt: In der Statistik des Kantons werden nur Personenwagen erfasst und nicht alle Fahrzeuge, die in der Stadt Zürich unterwegs sind. Eine solche Auswertung gibt es zum jetzigen Zeitpunkt nicht.

So oder so zeigt sich in den Zahlen, dass die Coronakrise dem Auto in der Stadt Zürich tendenziell in die Hände gespielt hat. Der Rückgang sei weniger stark gewesen als in den vorherigen Jahren, räumt denn auch Evelyne Richiger vom Tiefbauamt ein. «Das könnte ein Corona-Effekt sein. Für eine zuverlässige Trendabschätzung muss die Datenreihe aber zunächst weiter beobachtet werden.»


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Hätte eine Zunahme der Autos in der Stadt Einfluss auf die Verkehrspolitik? Wie würde eine solche Entwicklung berücksichtigt – und welche Rolle spielt der Motorisierungsgrad überhaupt? Das wollte Mobimag ebenfalls vom TAZ wissen. Eine Antwort darauf gibt es nicht.



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