Verkehrsbetriebe und SBB verdienen Millionen mit Werbung – und installieren Hunderte Bildschirme 🆓

Hunderte solcher Bildschirme wollen die VBZ aufstellen. Bild: Mobimag

Die Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) nehmen hunderte digitale Werbebildschirme in Betrieb. Auch die Berner BLS plant eine Werbeoffensive. In SBB-Bahnhöfen treibt die Werbevermarkterin APG die digitale Werbung voran. Dabei stören sich einige Pendler an den aufdringlichen Inhalten.

von Stefan Ehrbar
13. April 2021

Sie sind zurzeit Stammgast im Amtsblatt von Zürich: Die Baugesuche, in denen der Bau von elektronischen Werbescreens an Haltestellen der VBZ angekündigt wird. An 257 Haltestellen sollen künftig solche Bildschirme stehen, die Zahl der Screens dürfte wohl 500 übertreffen. Bis am 22. April können sich Plakatfirmen für den Riesen-Auftrag bewerben (Link zur Ausschreibung).

Die Werbeerträge sollen steigen. Digitale Bildschirme sorgen für mehr Einnahmen, als es analoge Plakatflächen tun. «Sie haben eine Reihe von Vorteilen, so etwa eine bedeutend stärkere Werbewirkung beziehungsweise verstärkte Aufmerksamkeit etwa durch eine leichte Animation», sagt VBZ-Vizedirektorin Silvia Behofsits zu Mobimag. «Grundsätzlich gehen die Verantwortlichen bei VBZ und der Stadt Zürich davon aus, dass die digitale Aussenwerbung mehr Einnahmen generiert.»

Wie viele das sein werden, könne noch nicht gesagt werden – einerseits wegen der Coronapandemie, andererseits sei eine Ausschreibung in dieser Grössenordnung für die VBZ einmalig. Es fehlten darum Erfahrungswerte.

Im Jahr 2019 nahm die VBZ 21,3 Millionen Franken an Werbeerträgen ein. Das Geld ging an den Zürcher Verkehrsverbund, der es zur Finanzierung des ÖV-Angebots im Kanton Zürich nutzt. Der Zusammenarbeitsvertrag zwischen den VBZ und dem ZVV wurde aber neu aufgelegt. Neu erhält der ZVV aus den Werbeerträgen an den Haltestellen noch alle Erträge, «welche zur Deckung der Kosten sämtlicher Haltestelleninfrastrukturen in der Stadt Zürich notwendig sind».

Darüber hinaus gehende Erträge werden bis zur Höhe von 20 Millionen Franken zwischen dem ZVV und der Stadt hälftig geteilt. Erwirtschaften die VBZ noch mehr Einnahmen, darf die Stadt Zürich diese ganz behalten. Ein Anreiz, um so viel Geld wie möglich mit Werbung reinzuholen? Nein, heisst es bei der VBZ, denn das Geld gehe ja an die Stadt. «Unsere Strategie wird dadurch nicht beeinflusst», sagt Silvia Behofsits.

Immerhin verzichtet die VBZ auch künftig auf digitale Werbescreens in den Fahrzeugen, wie sie andernorts Alltag sind, etwa in Bern. Vier Millionen Franken Werbeerträge hat Bernmobil im Jahr 2020 erzielt – ausschliesslich mit Werbung in und auf Fahrzeugen. «Ohne die Einnahmen aus der Werbung müsste Bernmobil entsprechend mehr Abgeltung von der öffentlichen Hand beanspruchen», sagt Kommunikationschef Rolf Meyer.

Auch bei den Gleisen vermarktet APG Werbeflächen (in rot). Bild: APG

Die Bildschirme in den Fahrzeugen, auf denen neben Werbung Nachrichten, Zitate oder Wetterinformationen laufen, stossen aber auch auf Kritik. Schliesslich lenken die Animationen die Aufmerksamkeit auf sich – und machen aus den Fahrzeugen eine Fläche für kommerzielle Interessen und für die Inhalte der Nachrichtenportale, in den meisten Fällen jene des Onlineportals nau.ch.

Bei Bernmobil gebe es deshalb «ganz vereinzelt» Reklamationen, sagt Meyer. Etwas anders tönt das schon in Basel. Die Werbung in den Fahrzeugen an sich sorge «kaum bis nie» für negative Rückmeldungen. «Teilweise» erhalte man hingegen Rückmeldungen zu den News, die auf den Bildschirmen zu sehen sind, sagt Sonja Körkel, Sprecherin der Basler Verkehrs-Betriebe.

«Die Bildschirme in den Fahrzeugen sind ein wichtiger Kanal und sie werden immer wichtiger, da mit den Bildschirmen sehr viele Fahrgäste erreicht werden können», sagt Körkel. «Dies gilt nicht nur in Bezug auf Werbung, sondern auch hinsichtlich Fahrgastinformationen.» 

Haltestellenwerbung hingegen ist bei den BVB kein Thema – die Flächen gehören der Allmendverwaltung und werden von der APG vermarktet. Dementsprechend geringer fallen auch die Einnahmen aus: 2019 brachten Werbeerlöse und Extrafahrten der BVB 3,6 Millionen Franken ein. Der Geschäftsführer der für die ÖV-Werbung in Basel verantwortlichen Moving Media Basel AG, Beat Leuenberger, sagt, er gehe von einer positiven Entwicklung in den nächsten Jahren aus. «Die Pandemie trifft uns aber stark.» Für 2020 und dieses Jahr müsse mit geringeren Einnahmen gerechnet werden.

Auch der grösste Busbetrieb der Schweiz, Postauto, will ein grösseres Stück vom Werbekuchen abschneiden. Sprecherin Valérie Gerl sagt, im Bereich der Haltestellenwerbung bestehe «ausbaufähiges Potential». Postauto verkaufe in den Fahrzeugen und an den Haltestellen Werbung in der Höhe von «mehreren Millionen Franken» jährlich. Dieses Geld entlaste die Budgets der Besteller, die dadurch weniger Mittel aufwenden müssten. Der grösste Teil der Erträge kommt bei Postauto aus der Werbung in den Fahrzeugen.

Eine elektronische Werbeoffensive lanciert derzeit die Berner Bahn BLS. Sie will 15 Bahnhöfe mit Bildschirmen ausrüsten. «Aktuell sind diverse Baugesuche hängig, die von den Gemeinden noch bewilligt werden müssen», sagt Sprecher Stefan Locher. Die genaue Zahl der Bildschirme könne deshalb noch nicht genannt werden. Der finanzielle Aspekt stehe «nicht im Vordergrund»: «Wir profitieren von den Bildschirmen, indem wir einen bestimmten Anteil an eigenen Inhalten publizieren können, beispielsweise mit Werbung für Freizeitangebote oder auch wichtige Informationen zu grösseren Bauarbeiten. Werbeflächen an Bahnhöfen oder in Zügen der BLS generieren zusätzliche Einnahmen, die wiederum in den ÖV fliessen.»

Wie viel Geld die BLS damit einnimmt, will sie nicht verraten. Die Einnahmen seien mit dem Partner Livesystems vertraglich geregelt und vertraulich. Livesystems steht auch hinter dem Newsportal nau.ch, das die Nachrichten auf den meisten ÖV-Bildschirmen in der Schweiz liefert. Negative Rückmeldungen zu den bisherigen Bildschirmen in den Zügen gebe es «nur sehr wenige», so Locher. Mit den neuen Bildschirmen wolle die BLS «einen Mix von Information und Unterhaltung bieten».

Der eigentliche König der digitalen Werbung ist aber die SBB. Diese arbeiten mit dem Werbevermarkter APG zusammen, der für das ÖV-Geschäft die Tochterfirma APG Rail betreibt.

In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Bildschirme, auf denen in den SBB-Bahnhöfen Werbung abgespielt wird, geradezu explodiert. Selbst im Coronajahr 2020 nahm die APG im Hauptbahnhof Zürich 77 neue Screens in Betrieb, in den Bahnhöfen Bern und Luzern waren es 39 neue. Am Hauptbahnhof Zürich stehen mittlerweile über 150 Bildschirme.

BahnhofScreens («ePanel»)Grosse Screens («eBoard»)
ZĂĽrich HB14112
Bern564
Luzern242
Genève Cornavin203
Basel152
St. Gallen111
ZĂĽrich Stadelhofen10
Lausanne94
Winterthur85
Aarau82
ZĂĽrich Oerlikon8
Genève Eaux-Vives74
Biel/Bienne71
Uster7
ZĂĽrich Enge5
Chur43
Genève Aéroport41
Bellinzona41
Lugano4
ZĂĽrich Altstetten3
Rapperswil3
ZĂĽrich HardbrĂĽcke2
Locarno2
ZĂĽrich Flughafen2
Zug2
Olten1
Brig1
Fribourg1
Neuchâtel1
Quelle: APG, Stand Anfang 2021

Wie viel die SBB genau damit verdient, gibt sie nicht bekannt. Es dürften Dutzende Millionen Franken sein. Diese Grössenordnung lässt sich aus dem Geschäftsbericht der Bahn herauslesen. Klar ist auch, wohin die Reise geht: Mehr Bildschirme, mehr Erlöse. «Die starke Dynamik, in der sich der Aussenwerbemarkt befindet, dürfte sich nach überstandener Krise in der Schweiz fortsetzen», umschreibt das die APG in einem Geschäftsbericht. Das Tempo der letzten Jahre zeigt, wie viel noch möglich ist: 2016 unterhielt die APG 130 Bildschirme in SBB-Bahnhöfen, vor zwei Jahren 280, mittlerweile sind es 415.

Mit dem Finanzloch, in dem sich der ÖV nach der Coronakrise befindet, dürften die Verkehrsbetriebe weiterhin so viele Flächen kommerziell vermarkten, wie sie können. Die Erträge sind willkommen. Ob das den Kunden auch gefällt, ist hingegen eine andere Frage.



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