
Brauchen Schweizer Städte öffentlichen Verkehr unter der Erde? Die Frage ist wegen mehreren teils konkreten Projekten wieder in den Fokus der Politik gerückt. Doch macht eine Metro in den kleinen Schweizer Städten Sinn – und wie hoch sind die Chancen solcher Vorhaben?
von Stefan Ehrbar
29. März 2021
In Bern erhält das Projekt «Metro Nord Süd» derzeit prominente Verstärkung. Darunter wird die unterirdische Verlängerung der RBS-Strecke vom Bahnhof Bern übers Inselspital nach Köniz verstanden. Die Fahrzeit soll sich zwischen Köniz und Bern dadurch auf 15 Minuten verkürzen, alle 7,5 Minuten könnte ein Zug verkehren.

Der Berner Stadtpräsident Alec von Graffenried gehört genauso zu den Unterstützern wie die Gemeindepräsidentinnen von Köniz und Bolligen und die Präsidenten von Ostermundigen, Wohlen und Ittigen. Etwa eine Milliarde Franken soll die Tiefbahn kosten, umgesetzt werden könnte sie 2040 bis 2050. Nächstes Jahr müsste der Kanton und 2026 der Bund das Projekt in seine Angebotsplanung aufnehmen, berichtet der «Bund». Von letzterem würde es auch finanziert – wenn es entsprechend gut bewertet wird.
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Der zuständige Berner Regierungsrat Christoph Neuhaus (SVP) bezeichnet die Idee gegenüber der «Berner Zeitung» als «spannend». Sie verdiene es, vertieft geprüft zu werden. Allerdings sei die Finanzierung «herausfordernd», so Neuhaus. Es sei völlig offen, ob der Bund ein so kostspieliges Projekt finanzieren werde, schreibt das Blatt. «Mit einem Vorhaben in dieser finanziellen Grössenordung müsste sich Bern unter Umständen gegen ähnliche Grossprojekte in anderen Agglomerationen durchsetzen. Gegen den neuen Tiefbahnhof in Luzern etwa.»
Die Zeitung «Der Bund» erinnert daran, dass die Stimmbürger von Köniz 2014 die «erheblich kostengünstigere Tramlösung verworfen haben»: «Das dürfte die Argumentation gegenüber Kanton und Bund nicht unbedingt erleichtern.» Die Schweiz sei sowieso zu klein: «Realistisch ist die Metro in Bern nicht: Die Region Bern – und übrigens sogar Zürich – ist um Dimensionen zu klein für ein U-Bahn-Netz.»
Doch stimmt das überhaupt?
Einerseits ist es nicht ganz zutreffend, dass in Bern eine U-Bahn geplant wird. Das Projekt nennt sich zwar Metro. Doch dieser Marketingname täuscht. Eigentlich handelt es sich eher um eine Stadtbahn (siehe Box) – schliesslich wäre die RBS-Verlängerung in das Netz dieser Bahn eingebunden, nicht kreuzungsfrei und auch nicht überall unabhängig vom restlichen Verkehr.
U-Bahn, Stadtbahn, Strassenbahn? Eine U-Bahn ist ein schienengebundenes Transportmittel, das getrennt vom übrigen Strassenverkehr in einem geschlossen System und auf einem unabhängigen Bahnkörper verkehrt. Ob sie im Untergrund fährt, ist dabei zweitrangig. Im deutschen Sprachraum wird das «U» deshalb häufig als Abkürzung für «unabhängig» verstanden. Zwischen der U-Bahn und dem Tram liegen die Stadtbahnen. Darunter wird häufig ein Mischsystem verstanden – also etwa ein System mit Strecken mit unabhängigen Abschnitten genauso wie Abschnitten auf Strassen. Köln beispielsweise betreibt eine Stadtbahn. Deren Züge fassen mit 300 bis 400 Passagieren mehr als ein Tram, aber weniger als eine U-Bahn. Sie sind mit einem System zur Zugbeeinflussung ausgerüstet und fahren schneller als Trams. Trams – im deutschen Sprachraum Strassenbahnen genannt – sind Züge mit in der Regel etwa 100 bis 150 Passagieren Fassungsvermögen, die innerstädtisch häufig auf denselben Strassen wie der Individualverkehr verkehren. Bei Strassenbahnen gibt es Kreuzungen, dichte Haltestellenabstände und eine vergleichsweise tiefe Reisegeschwindigkeit. Eine S-Bahn ist eine klassische Eisenbahn, die sich häufig die Gleise mit dem übrigen Fern- und Regionalverkehr teilt. S-Bahnen verbinden die Agglomerationen mit der Stadt, bieten aber auch innerstädtische Verbindungen. Sie bieten im Vergleich dieser Verkehrssysteme die höchste Kapazität, aber auch die weitesten Haltestellenabstände. |
Abgesehen von sprachlichen Feinheiten: trifft es zu, dass Schweizer Städte zu klein sind für U-Bahnen?
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Die Fahrzeit heute mit der S6 von Bern nach Köniz sind nur 8 Minuten, mit dem Bus 10 sind es etwa 10 Minuten. Eine RBS-Verbindung würde es also nicht schneller machen. Die Taktfrequenz von heute 30 min muss natürlich verkürzt werden. Einen 15 min Takt könnte man heute wohl schon realisieren. Der 7.5 Min Takt scheitert heute an den Bahnübergängen, wozu es aber auch günstigere Lösungen (z.B. Brücke der Bahn über die Könizstrasse).
Ich sehe das grössere Problem in Bern bei der Durchbindung der S-Bahnlinien im Bahnhof und bei der Nordausfahrt. Der Abschnitt Bern – Wankdorf bleibt eine Achillesferse im Schweizer Bahnnetz. Wenn man diese beseitigen will, müsste man eher an eine Einbindung des RBS ins Normalspurnetz nachdenken als umgekehrt. In einer Partikularsicht ist der Umbau einer Linie auf Schmalspur vielleicht günstiger, in der Gesamtsicht dürfte das aber nicht mehr gelten. Aus diesen Gründen haben viele deutsche Städte und Zürich die S-Bahn im Normalspurnetz realisiert.
Für Bern macht ein System wie in Hannover mit den Trams, die im Zentrum in den Untergrund verlegt wurden, aus meiner Sicht am meisten Sinn, zusammen mit eigenen Tramtrassen.
Im Gegensatz zu Lausanne, das eine fast schon aggressive Wachstumsstrategie verfolgt und daher Bern auch bereits in der Einwohnerzahl überholt hat, fehlt eine solche Haltung und Strategie in Bern jedoch. Ich würde erwarten, dass im ersten Schritt eine solche Vision erarbeitet wird und dann die Mittel zu dessen Erreichung (Metro, …), nicht umgekehrt.