Flughafen-Zürich-Chef Stephan Widrig: «Fliegen per se ist nicht das Problem, nur der fossile Energieträger im Tank»

Flughafen-Zürich-Chef Stephan Widrig. Bild: Flughafen Zürich

Stephan Widrig ist Chef des Flughafen Zürich. Im Interview verrät er, warum er Nachtzügen gegenüber kritisch ist, wieso sich Genf und Basel schneller erholen als Zürich, ob es zum Chaos-Sommer kommt und warum weltweite Direktverbindungen mit einer längeren Nachtruhe nicht möglich wären.

von Stefan Ehrbar
11. Juli 2022


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Herr Widrig, Der Flughafen Zürich braucht gemäss eigenen Aussagen 50 Prozent des Flugverkehrs von 2019, um schwarze Zahlen zu schreiben. Wird dieses Niveau dieses Jahr erreicht?
Stephan Widrig: Ja, bereits im 2. Halbjahr 2021 konnten wir mit der fortschreitenden Erholung der Passagierzahlen wieder schwarze Zahlen schreiben. Im Monat Mai 2022 konnten wir ein Passagiervolumen von 71% gegenüber dem gleichen Monat im Jahr 2019 verzeichnen. Wir sind somit zuversichtlich für dieses Jahr – es wird aber weiterhin wegen Pandemie und geopolitischen Spannungen von Unsicherheiten geprägt sein.

Letztes Jahr hiess es, das Vorkrisenniveau würde 2025 wieder erreicht. Ist diese Prognose nach wie vor aktuell?
Das ist eine grobe Richtgrösse in einem volatilen Umfeld, die uns aber weiterhin realistisch erscheint.

Mit wie vielen Passagieren rechnen Sie dieses Jahr?
Für dieses Jahr rechnen wir mit gut 20 Millionen Passagieren.


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Was die Erholung von Geschäftsreisen angeht, hört man verschiedenes: Einige gehen davon aus, dass 10 bis 20 Prozent nicht zurückkehren werden, während z.B. die Hotelplan-Chefin unlängst sagte, es werde bei Geschäftsreisen derzeit mehr gebucht als 2019. Wie ist ihre Einschätzung zu diesem Segment?
Die Coronakrise hat gezeigt, dass kurze Sitzungen grundsätzlich auch per Videocall möglich sind. Dass gewisse geschäftliche Treffen in Kurzstrecken-Distanz, die früher physisch stattgefunden haben, vermehrt per Online-Call stattfinden werden, davon gehen wir aus. Das ist auch vernünftig. Die persönlichen Treffen – gerade in der internationalen Geschäftswelt auf Langstrecken – werden aber weiterhin einen hohen Stellenwert haben. Online-Meetings können das physische Treffen und Kennenlernen von Menschen nicht ersetzen. Wir gehen ferner davon aus, dass dank der Digitalisierung auch die internationale Arbeitsteilung weiter zunehmen wird. Fazit: Es wird Verschiebungen geben, die eintägige Geschäftsreise wird stärker hinterfragt werden, aber der internationale Austausch wird weiter zunehmen und damit auch die internationale Mobilität. 

In den vergangenen Tagen war von Chaos an verschiedenen Flughäfen zu lesen – etwa in Amsterdam oder Dublin. In Zürich funktionierte bisher alles wie gewohnt. Bleibt es dabei oder müssen sich auch Flugreisende in Zürich im Sommer auf stundenlanges Warten einstellen? Wieso gelingt es Zürich zumindest bis jetzt besser als anderen Flughäfen, die Situation zu meistern?
Ich denke auch, dass Zürich im europäischen Vergleich sehr gut dasteht. Der enge Austausch mit unseren Partnern ist uns sehr wichtig. Nur gemeinsam können wir einen möglichst reibungslosen Betrieb sicherstellen. Die Partner bestätigen uns, dass genügend Personal eingeplant ist, um das erwartete Flugvolumen abwickeln zu können. Trotzdem kann es auch am Flughafen Zürich während der Hauptverkehrszeiten an Spitzentagen zu Wartezeiten kommen. Und letztlich haben auch die Probleme im europäischen Umfeld Auswirkungen auf den Betrieb in Zürich. Die Schweizerinnen und Schweizer dürfen sich aber auf ihre Ferien freuen – wir sind zuversichtlich, dass der Start der Reise in Zürich im Grossen und Ganzen reibungslos abgewickelt werden wird. Die Passagiere können ferner auch ihren Teil dazu beitragen, die Prozesszeiten so kurz wie möglich zu halten, indem sie sich gut auf ihre Reise vorbereiten, alle benötigten Dokumente wenn möglich schon zuhause online hochgeladen haben und sich digital einchecken, bis zu drei Stunden vor dem Flug am Flughafen erscheinen und mit möglichst wenig Handgepäck reisen.


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Ein Blick auf die Slotstatistik per Anfang Sommerflugplan zeigt, dass verschiedene Low-Cost-Airlines wie Easyjet, Vueling oder Eurowings derzeit einen so geringen Anteil haben wie seit Jahren nicht mehr. Entspricht das der Strategie des Flughafen Zürich? Haben solche Airlines künftig noch Platz in Zürich?
Für uns als Flughafen Zürich ist es wichtig, ein möglichst breit abgedecktes Streckennetz ab Zürich anbieten zu können. Unser Hub Carrier Swiss, zusammen mit Edelweiss, trägt viel dazu bei, dass wir ab Zürich so viele direkte Ziele anbieten können, insbesondere auch auf der Langstrecke. Auf der anderen Seite wollen wir einen gesunden Wettbewerb unter den Airlines sicherstellen, damit die Passagiere zwischen verschiedenen Produkten auswählen können und wir ab Zürich attraktive Preise haben. Ebenso gibt es Destinationen, die durch Swiss gar nicht angeboten werden, weil an der Zieldestination das Netzwerk fehlt. Derzeit fliegen ab Zürich knapp 80 Airlines an fast 200 Ziele, und die Swiss macht etwa die Hälfte des Verkehrs aus. Das passt gut so, um die Vorteile des Drehkreuzes mit einem nachhaltigen Wettbewerb zu kombinieren.

In den letzten Monaten haben sich die Flughäfen Basel und Genf schneller erholt als Zürich. Wird sich das dieses Jahr wieder ändern – oder bleiben Hub-Flughäfen wie Zürich noch länger im Nachteil?
Die Hauptgründe, warum die Erholung bei uns noch etwas hinter den beiden anderen Landesflughäfen hinterherhinkt, sind Asien und die Langstrecke. Im Vergleich zu Basel und Genf haben wir deutlich mehr Langstreckenverbindungen ab Zürich. Da die Erholung auf der Langstrecke deutlich langsamer kommt als auf den Europastrecken, wiegt dieser Effekt in Zürich deutlich schwerer. In weiten Teilen Asiens gelten ausserdem immer noch sehr restriktive Corona-Massnahmen und die Flugverbindungen sind zum Teil bis heute sehr stark eingeschränkt.

Airlines wie die Swiss arbeiten vermehrt mit Bahngesellschaften zusammen. Werden Kurzstreckenflüge ab dem Flughafen Zürich in Folge künftig abnehmen, weil sie von der Bahn substituiert werden? Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Kombinierte Verkehrsangebote sind sinnvoll und unterstützen wir. Für die Verbindung grosser Metropolen, welche mit dem Zug innerhalb von 3 bis 4 Stunden erreichbar sind, ist der Zug als Transportmittel ideal. Für weitere Distanzen wird das Flugzeug wohl auch langfristig die überzeugendere Variante sein, nicht nur wegen dem Zeitvorteil, sondern auch weil ein Zug, der nachts acht Stunden lang an ganz vielen Wohngebieten vorbeifahren muss, mit Strom, der knapp und nicht immer nachhaltig ist, auch keine tragfähige Lösung ist. Fliegen per se ist nicht das Problem, nur der fossile Energieträger im Tank des Flugzeuges. Genauso wie alle anderen Verbraucher muss auch die Luftfahrt Wege finden, wegzukommen von fossilen Energieträgern. Da eine Batterie zu schwer ist für ein Langstreckenflugzeug in der Luft, gehe ich davon aus, dass mittelfristig synthetwisch hergestellte Fuels die Lösung sind, langfristig vielleicht auch Wasserstoff.

Auch der Flughafen Zürich prüft einen Ausbau von Services wie Gepäck-Abholung zuhause. Zudem soll der Flugverkehr besser mit anderen Mobilitätsangeboten vernetzt werden. Was versprechen Sie sich davon?
Unser Unternehmenszweck ist es, Menschen und Orte zu verbinden und dabei positive Erlebnisse zu schaffen. Jedes zusätzliche Angebot, das unseren Passagieren die Anreise an den Flughafen und das Erlebnis entlang der ganzen Reisekette erleichtert oder gar verbessert, bringt uns diesem Ziel näher.

Der Flughafen Zürich hat im Zug der Krise verschiedene Investitionen um drei bis fünf Jahre verschoben – etwa den Neubau des Terminal 1 oder des Dock A. Bleibt es dabei? Gibt es bereits ein Datum für den Baustart?
Ja, das Projekt «Neubau Dock A» hat durch Corona eine Verschiebung erfahren. Im Juni konnten wir jedoch das Siegerprojekt des Architekturwettbewerbs für das neue Dock A samt Wurzel und Tower kommunizieren. Es soll zu grossen Teilen aus Holz gebaut werden und in Bezug auf Nachhaltigkeit neue Massstäbe für Flughafenbauten setzen. Ziel ist es, dies in den nächsten 10 Jahren zu realisieren.

Der Kanton Zürich muss nach dem Willen des Kantonsrats eine Standesinitiative einreichen, welche eine Kerosinsteuer fordert. Was würde das für den Flughafen Zürich bedeuten?
Die Nachhaltigkeit ist für die Luftfahrt die grosse Herausforderung der Zukunft. Klimaneutralität zu erreichen, geniesst eine hohe Priorität in unserem Handeln. Ebenso müssen wir eine gute Anbindung der Schweiz an die Welt sicherstellen als stark vom internationalen Handel abhängigem Land. Mit der Standesinitiative soll sich der Bund auf europäischer Ebene für eine Kerosinsteuer einsetzen. Weil dies globalen Vorgaben der Vereinten Nationen entgegensteht, ist hier wenig Bewegung zu erwarten. Wir setzen uns dafür ein, dass auf europäischer Ebene eine Beimischquote für synthetische Kraftstoffe (SAF) vorgegeben wird, die über die Zeit stetig erhöht werden, kann und so die Transformation hin zu einer klimaneutralen Luftfahrt beschleunigt. Wichtig ist dabei, dass dies europäisch harmonisiert geschieht und keine Schweizer Einzellösung ist, weil sonst einfach die Langstrecken ab der Schweiz nicht mehr wettbewerbsfähig sind und wir dann Wertschöpfung und Verbindungen einfach ins Ausland verlagern würden.

Wann kommen SAF am Flughafen Zürich auf einen Anteil von 50 Prozent? Was muss bis dann noch geschehen?
Am Flughafen Zürich ist technisch und auch administrativ alles vorbereitet, beigemischtes SAF tanken zu können. Die Käufer, namentlich die Airlines, und die Lieferanten stehen jetzt vor verschiedenen Herausforderungen. Einerseits ist SAF heute deutlich teurer als herkömmliches Kerosin. Die zweite Herausforderung ist die Verfügbarkeit von SAF: Hier muss weiter daran gearbeitet werden, grössere Mengen SAF bereitstellen zu können. Eine europäisch koordinierte Beimischpflicht kann Marktanreize setzen, um die Produktion von SAF zu fördern und mit der grösseren Menge auch den Preis zu senken.

Arbeitet der Flughafen auch mit Startups wie Synhelion zusammen, die Solartreibstoffe produzieren?
Die Flughafen Zürich AG hat als einer der ersten bereits 2020 mit Synhelion eine Absichtserklärung unterzeichnet. Darin sagen wir zu, Synhelion den in der Testanlage produzierten nachhaltigen Treibstoffs zu Selbstkosten abzukaufen. Den nachhaltigen Treibstoff werden wir in unseren eigenen Fahrzeugen und Maschinen einsetzen, die derzeit noch nicht elektrisch betrieben werden können.

Der Flughafen Zürich ist auch eine wichtige Shopping-Destination. Wann erreichen Sie wieder die Umsätze wie vor der Krise?
Generell merken wir, dass sich wieder mehr Menschen bewegen, zur Arbeit fahren und dabei den Flughafen als Umsteige- und Einkaufsort nutzen. Die Erholung bei den landseitigen Geschäften im Airport Shopping geschieht dabei schneller als im Airside Center, wo die asiatischen Gäste noch fehlen. Bei beiden besteht aber ein positiver Trend, entlang der Erholung der Passagier- und Pendlerzahlen.

Mit Blick auf das Thema Fluglärm beschäftigen verspätete Abflüge am Abend weiterhin viele Anwohner. Zuletzt kam es vermehrt wieder zu Starts nach 23 Uhr. Wann kriegt der Flughafen dieses Problem in den Griff?
Es ist wichtig zu präzisieren, dass die Betriebszeiten heute von 06:00 Uhr bis 23:30 Uhr dauern. Die Betriebszeiten hat der Bundesrat im Sachplan Infrastruktur Luftfahrt (SIL) festgesetzt, Starts und Landungen sind bis 23:30 Uhr ohne besondere Bewilligung zugelassen. Dies ist auch im Betriebsreglement festgehalten. Mit dem steigenden Verkehr steigen auch wieder die Verspätungen, auch die verspäteten Starts nach 23.00 Uhr. Die Flughafen Zürich AG hat verschiedene Massnahmen eingeleitet, damit die Situation verbessert werden kann. Eine davon sind die Pistenverlängerungen 28 und 32, zu denen die Regierung des Kantons Zürich bereits zugestimmt hat und die nun beim Kantonsrat pendent ist.

Ist eine weitere Vorverlegung der Nachtruhe denkbar?
Wenn der Flughafen Zürich weiterhin den Zweck, weltweit gute Direktverbindungen sicherzustellen, gemäss SIL erfüllen soll, ist dies nicht mit verkürzten Betriebszeiten möglich. Seit dem Jahr 2000 wurden die Betriebszeiten am Flughafen Zürich schrittweise um zwei Stunden reduziert. Bereits heute hat der Flughafen Zürich kürzere Betriebszeiten wie vergleichbare andere europäische Flughäfen und auch kürzere Betriebszeiten wie die Flughäfen Genf und Basel.

Wie bewegen Sie sich selbst fort?
Ich komme am Morgen meist mit dem Fahrrad zur Arbeit. Für Meetings in die Stadt nehme ich den Zug. Die Freunde im Zürcher Unterland besuchen wir mit dem Auto. Milan und Paris bereisen wir mit dem Zug. Ferien mache ich bevorzugt am Meer, dafür nehme ich das Flugzeug. Genauso wie für die Geschäftsreise nach Indien und Brasilien.


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