Ohne Ambitionen und dabei noch den Verkehr vergessen: Kantone kritisieren Nachhaltigkeits-Plan des Bundes 🆓

Der Verkehr spielt in den Plänen des Bundes keine grosse Rolle. Bild: Patrick Federi / Unsplash

Der Bund gibt sich eine neue «Strategie Nachhaltige Entwicklung». Doch besonders ambitioniert ist die nicht. Der Verkehr kommt praktisch gar nicht vor. Kantone kritisieren das Papier hart: Es gebe darin «wenig Neues und Visionäres», heisst es etwa. Verschläft der Bund den Wandel?

von Stefan Ehrbar
14. Mai 2021

Es ist ein grosses Ziel, das sich die Welt gesetzt hat. Die Agenda 2030 der UNO soll bis 2030 umgesetzt werden, mitsamt ihren 17 globalen Zielen. Neben der Ausrottung von Hunger und Armut gehören auch der Schutz der Natur, die Förderung sauberer Energieträger oder Massnahmen fürs Klima dazu. Wie die Schweiz die Ziele erreichen will, hat sie in der «Strategie Nachhaltige Entwicklung» festgelegt.

Diese wurde vor kurzem überarbeitet und in die Vernehmlassung gegeben. Die Antworten darauf sind teils sehr ernüchternd. So schreibt der Regierungsrat des Kanton Bern dass «einige der Ziele wenig visionär und wenig ambitioniert sind – gerade mit Blick auf ihre 10-jährige Perspektive – und dass die Ziele oftmals sehr offen, das heisst weder terminiert noch quantifiziert, formuliert sind».


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Der Regierungsrat des Kanton Zürich schreibt, die Strategie enthalte «wenig Neues und Visionäres», zudem entsprächen viele Zielsetzungen Absichtserklärungen, «ohne Hinweise darauf zu geben, wie diese konkret umzusetzen sind». Der Kanton Basel-Stadt wiederum schreibt, dem Regierungsrat gingen die Ambitionen der unterbreiteten Ziele «oft nicht weit genug», eine «Überarbeitung und Schärfung» sei angebracht.

Interessant ist vor allem, was im Bericht nicht steht – und das sind Massnahmen im Bereich Verkehr und Mobilität. Dieser ist für einen grossen Teil der CO2-Emissionen verantwortlich und steht in direktem Zusammenhang zu vier der globalen Ziele («saubere Energie», «Industrie, Innovation & Infrastruktur», «nachhaltige Städte und Gemeinschaften» und «Massnahmen fürs Klima»). Andere Ziele tangiert er, etwa «wirtschaftliches Wachstum» oder «Leben an Land» und «Leben an Wasser».

In der 39-seitigen Strategie kommt das Wort «Verkehr» trotzdem nur in diesen drei Abschnitten vor:

  • «Zur Reduktion von Treibhausgasemissionen ist die Schweiz insbesondere in den Bereichen Verkehr, Gebäude, Industrie, Energie und Landwirtschaft gefordert.»
  • «Seit 2000 zeichnet sich in der Schweiz mit Ausnahme des Verkehrs eine Stabilisierung des Energieverbrauchs ab.»
  • «Eine grosse Herausforderung wird sein, trotz des grossen Bedürfnis an Mobilität und des daraus resultierenden wachsenden Verkehrs den Energieverbrauch in diesem Bereich zu senken.»

Mit anderen Worten: Der Bund stellt zwar fest, dass die CO2-Emissionen im Bereich Verkehr ein Problem sind, dass der Energieverbrauch in diesem Sektor im Gegensatz zu allen anderen steigt, und dass der Verkehr weiter wachsen wird. Doch was er dagegen zu tun gedenkt, wird mit keiner Silbe erwähnt.

Das haben auch die Kantone bemerkt. Zürich schreibt in seiner Stellungnahme, der Kanton vermisse eine Thematisierung des Transports von Nahrungsmitteln. Der Regierungsrat des Kanton Bern schreibt, er erachte die Raumordnungs-, die Mobilitäts- und die Infrastrukturpolitik weiterhin als zentrale instrumentelle Schlüssel. Im Bericht fehlen sie.

Das zuständige Amt für Raumentwicklung (ARE) verteidigt sich gegen die Kritik. «Das ARE erhielt über 230 Stellungnahmen, was zeigt, dass die Strategie für viele Akteure eine hohe Priorität geniesst», sagt Sprecher Lukas Kistler. «Die Stellungnahmen decken die ganze politische Bandbreite ab. Insgesamt lässt sich aber klar festhalten, dass eine Mehrheit der Akteure die geplanten Schwerpunkte grundsätzlich unterstützt und zugleich ein höheres Ambitionsniveau wünscht.»

Die Strategie enthalte im Schwerpunkt Klima, Energie und Biodiversität relevante Ziele auch für den Verkehr. Kistler verweist dazu auf den Entscheid des Bundesrats vom 28. August 2019, wonach die Schweiz die Treibhausgase bis 2050 auf Netto Null reudzieren will. «Entsprechend will der Bund Rahmenbedingungen dafür setzen, dass sich der Verbrauch fossiler Brenn- und Treibstoffe signifikant und schnell reduziert. Für die Zielerreichung sorgen namentlich die Gesetze in der Klima- und Energiepolitik, insbesondere die Revision des CO2-Gesetzes.»

Doch über diese allgemeinen Ziele hinweg dürfte die Strategie im Verkehrsbereich zahnlos bleiben. Die Agenda 2030 der UNO formuliere keine Unterziele eigens für die Themen Verkehr und Mobilität, sagt Kistler. Darum habe der Bund auch keine entsprechenden Stossrichtungen festgelegt. «Eine nachhaltige Verkehrspolitik ist für den Bundesrat aber von grosser Bedeutung, so etwa beim Sachplan Verkehr oder beim Programm Agglomerationsverkehr.»

Ob diese Instrumente allerdings reichen, um die hochgesteckten Ziele der Weltgemeinschaft zu erreichen, darf bezweifelt werden. Wie die Schweiz diese erreichen will, wenn das CO2-Gesetz am 13. Juni abgelehnt werden sollte, scheint zurzeit niemand zu wissen. Eine mutige Vorwärtsstrategie sähe anders aus.



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