
Das Eisenbahn-Netzwerk «Back on Track» hat ausgerechnet, welche Klimawirkung ein umfassendes Nachtzug-Netzwerk in Europa hätte. Jeder dritte Flugpassagier könnte auf die Bahn wechseln, heisst es in der Studie. Die Emissionen des Flugverkehrs könnten damit um 26 Prozent reduziert werden.
von Stefan Ehrbar
31. Oktober 2022
Das europäische Netzwerk zur Förderung der internationalen Nachtzug-Verbindungen «Back on Tracks» konnte im September im deutschen Verkehrsministerium vorsprechen. Dabei stellten die Initianten eine neue Studie vor. Deren Resultate haben es in sich: Über drei Prozent der gesamten CO2-Emissionen der Europäischen Union liessen sich durch eine Verlagerung des Flugverkehrs auf ein leistungsfähiges Nachtzugnetz ersetzen. Doch wie kommt Autor Juri Maier zu diesen Ergebnissen?
Allen Berechnungen zugrunde liegt ein vermutetes Nachtzug-Netz mit folgenden Eigenschaften:
- Geschwindigkeiten bis zu 160 Kilometer pro Stunde
- Modernes Rollmaterial mit mehr Privatsphäre, Sicherheit und Komfort als heute
- Eine minimale Belegung von 80 Prozent
- Mit anderen Verkehrsmitteln vergleichbare Preise
Laut der Studie kommen Nachtzüge auf 28 mal weniger CO2-Ausstoss pro Kilometer als ein durchschnittliches Flugzeug. Selbst wenn dieses mit nachhaltigen Treibstoffen, sogenannten SAF betankt würde, wären es noch immer 16 mal weniger. Gleichzeitig sei die Aviatik heute für 12 Prozent aller Treibhausgasemissionen der EU und 5 Prozent des CO2-Ausstosses verantwortlich.
Nachtzüge sind laut der Studie besonders auf Distanzen von über 500 Kilometern eine bessere Alternative als Hochgeschwindigkeitszüge. Die Zeit im Schlaf werde nicht als Reisezeit wahrgenommen, sondern eher als Vorteil (weil beispielsweise eine Hotelübernachtung eingespart wird). Dementsprechend haben Nachtzüge einen «Startvorteil» von 8 Stunden und werden in Sachen Reisezeit auf Distanzen von 501 bis 1500 Kilometern als gleichwertig mit Flugzeugen wahrgenommen.
Hochgeschwindigkeits-Nachtzüge mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 150 Kilometern pro Stunden könnten sogar auf Distanzen bis 1900 Kilometer konkurrenzfähig sein, solche mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 200 Kilometern pro Stunde auf Distanzen bis 2700 Kilometern. Solche Züge existieren etwa in China auf der Strecke Peking-Shenzen.
Die Studie hat das Umsteigepotenzial anhand aller Flüge ab den Flughäfen in der EU 28 analysiert. Nicht berücksichtigt wurden Verbindungen zwischen Inseln und Orten ohne Bahnanschluss, solche mit einer Distanz von über 3000 Kilometern, Verbindungen, die täglich mit Tageszügen in weniger als 4 Stunden angeboten werden, Verbindungen zu anderen Kontinenten und Verbindungen mit weniger als 140 Passagieren pro Tag.
Die Studie zeigt:
- Von jährlich 1,1 Milliarden Flugpassagieren innerhalb Europas könnten auf Distanzen zwischen 501 und 1500 Kilometern 362 Millionen Passagiere auf Nachtzüge gelenkt werden, wenn ein attraktives Angebot bestünde.
- Weitere 213 Millionen Passagiere könnten auf Strecken zwischen 1500 und 3000 Kilometern Distanz vom Flugzeug abgegriffen werden.
- Insgesamt könnten Nachtzüge für 50 Prozent aller Flugpassagiere eine gleichwertige Alternative bieten.
Die Frage ist nun aber: Wie viele würden diese Nachtzüge auch nutzen? Um sie zu beantworten, greift der Autor auf eine Umfrage des Instituts YouGov zurück. Demnach sind 69 Prozent der Europäer gewillt, einen Nachtzug zu nutzen, solange die Fahrzeiten kompetitiv sind und die Preise vergleichbar mit dem Flugzeug. Beides zusammen trifft hauptsächlich auf Distanzen bis 1500 Kilometer zu. Der Autor geht davon aus, dass auch auf Distanzen bis 3000 Kilometer einige Reisende vom Flugzeug auf den Nachtzug wechseln würden, geht aber davon aus, dass diese Zahl mit zunehmender Fahrtdauer sinkt. Unterlegt wurde ein Wert von 11,4 Prozent weniger Potenzial pro zusätzliche Fahrstunde.
Gemäss diesen Berechnungen könnten 32 Prozent der innereuropäischen Flüge vom Flugzeug auf die Bahn umgeleitet werden. Das entspricht 8,6 Prozent der Treibhausgasemissionen des Verkehrs – und 3,03 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen der EU. Davon entfallen 1,54 Prozent auf Nachtzüge mit einer Distanz bis 1500 Kilometer und 1,49 Prozent auf Nachtzüge mit einer Distanz zwischen 1501 und 3000 Kilometern.
Um diese Ziel zu erreichen, müssen laut der Studie einige Schritte unternommen werden, nämlich:
- Reduktion der Trassengebühren bis hin zu den Grenzkosten
- Langfristige Sicherung von Trassen für Nachtzüge
- Gleichwertige Priorisierung der Nachtzüge mit anderen Zügen
- Keine höhere Besteuerung von internationalen Bahnreisen als internationalen Flugreisen
- Keine höhere Besteuerung der Nachtzüge gegenüber Hotelübernachtungen
Zudem müsse in neues Rollmaterial investiert werden. Um überhaupt so viele Menschen mit Nachtzügen transportieren zu können, müssten 2066 neue Nachtzüge mit je 10 Wagen geordert werden – ein Auftrag mit einem geschätzten Volumen von 67 Milliarden Euro. Zudem sollten 488 neue Hochgeschwindigkeits-Nachtzüge beschafft werden, die etwa 30 Milliarden Euro kosten dürften. Insgesamt würden alleine für die Beschaffung 97 Milliarden Euro fällig.
Dieser Betrag könnte bei den aktuellen Preisen für CO2-Zertifikate innerhalb von 8 Jahren wieder amortisiert werden, heisst es in der Studie.
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