Wie fortschrittlich ist die Schweiz in Sachen Elektroautos auf dem Land? Besonders Graubünden schneidet im Vergleich gut ab

Wird von immer mehr Elektroautos befahren: Der Malojapass. Bild: Patrick Federi / Unsplash

Eine neue Studie vergleicht den Anteil der Elektrofahrzeuge an den Neuzulassungen in hunderten ländlichen Regionen Europas. Der Kanton Graubünden schneidet dabei sehr gut ab, wird aber von einigen wenigen Regionen übertroffen. Woran das liegt – und warum sich das jetzt ändern dürfte.

von Stefan Ehrbar
6. September 2022

Diese Studie des «International Council on Clean Transportation» (ICCT) ist für die Schweiz schmeichelhaft – oder zumindest für Teile davon: Die Organisation hat analysiert, wie hoch der Anteil von Elektroautos an den Neuzulassungen im Jahr 2020 in verschiedenen  ländlichen Regionen Europas war. Zugrunde gelegt wurde die Definition von Eurostat.

Der Kanton Graubünden ist eine von nur neun ländlichen Regionen unter hunderten, in denen der Anteil der Elektroautos im Jahr 2020 gleich hoch oder höher war als im Durchschnitt der ganzen EU. Dieser Wert betrug damals 6,2 Prozent. Die weiteren acht Regionen, welche diese Kriterien erfüllten, waren Ausserfern in Österreich, Aust-Agder in Norwegen, Jämtlands in Schweden, Lezíria do Tejo in Portugal, Manche in Frankreich, Rhön-Grabfeld in Deutschland, die Orkney Islands im Vereinigten Königreich und Zeeuwsch-Vlaanderen in den Niederlanden.

Die Regionen sind relativ divers: So ist etwa Jämstland in Schweden mit einer Fläche von 53’752 Quadratkilometern deutlich grösser als Graubünden mit 7’107 Quadratkilometern, aber viel weniger dicht besiedelt (2 Einwohner pro Quadratkilometer vs 28 Einwohner pro Quadratkilometer). Während die grösste Stadt in der Region Manche mit Cherbourg-en-Cotentin immerhin 79’000 Einwohnerinnen und Einwohner zählt, sind es in Chur 38’000. Der grösste Ort der Orkney Islands zählt nur gerade 9’000 Bewohnerinnen und Bewohner.

Doch woher rührt das vergleichsweise gute Abschneiden des Kanton Graubünden – und wie könnte er in die Top 5 vorstossen?

Ein Erfolgsfaktor ist laut dem ICCT-Bericht die hohe Dichte an Ladestationen. Im Kanton Graubünden wurden demnach im Jahr 2020 über 200 Ladestationen pro 100’000 Einwohnerinnen und Einwohner gezählt, während es in der ganzen Schweiz nur etwa 75 waren. Die Zahl der Ladestation ist gleichzeitig ein Hebel, um den Erfolg der Elektroautos weiter zu befeuern. Denn in noch erfolgreicheren Regionen ist die Zahl höher. Im schwedischen Jämtsland kommen auf 100’000 Einwohner über 350 Ladestationen, im norwegischen Aust-Agder sind es über 300, im niederländischen Zeeuwsch-Vlaanderen über 250.

Ladestationen pro Einwohner für die Regionen und die jeweiligen Länder. Quelle: ICCT

Einen Teil zum Erfolg beitragen dürfte auch, dass im Kanton Graubünden mit 15 Prozent etwas mehr der Ladestationen die Schnellladung ermöglichen als im landesweiten Durchschnitt (14 Prozent). Auch hier könnte noch angesetzt werden: In der Region Aust-Agder beträgt dieser Anteil beispielweise fast 40 Prozent, im österreichischen Ausserfern über 30 Prozent. 

Ebenfalls positiv hervor hebt das ICCT, dass Besitzer von Elektroautos in Graubünden von deutlich reduzierten Fahrzeugsteuern profitieren. Ebenfalls positiv hervorgehoben wird die Möglichkeit, dass Gemeinden im Kanton Graubünden finanzielle Unterstützung für öffentliche Ladestationen vom Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (EWZ) erhalten können, das für die Stromversorgung in Teilen des Kantons zuständig ist.

In Regionen, die noch besser abschnitten, machte die Politik im Jahr 2020 aber noch mehr als in Graubünden: So gab es etwa Subventionen für den Kauf eines Elektroautos auf nationaler und regionaler Ebene, und in der Region Manche können Elektroautos teilweise kostenlos parkiert werden. In Frankreich konnten Hausbesitzer von Subventionen für den Bau von Ladestationen profitieren, während das Vereinigte Königreich Firmen unterstützt hat, die Ladestationen aufbauen. Ausserdem hatte die öffentliche Hand im Jahr 2020 in verschiedenen Regionen ambitioniertere Pläne zum Ersatz ihrer eigenen Autoflotte durch Elektroautos als in Graubünden aufgelegt.

Trotzdem gehört der Kanton Graubünden zur europaweiten Top 10. Er profitiert wohl davon, dass er sich schon früh politisch mit dem Thema Elektromobilität auseinandergesetzt hat. Schon 2017 legte er ein Massnahmenpaket zur Förderung der Elektromobilität und einen Masterplan zur Ladeinfrastruktur auf. Der Aufbau von Ladepunkten entlang von Hauptachsen und Kantonsstrassen wurde in den letzten Jahren etwa finanziell gefördert.

Würde das ICCT den Vergleich im Jahr 2022 neu auflegen, würde Graubünden zudem noch einmal besser abschneiden. Denn die Elektromobilität hat im Kanton zuletzt rasant zugelegt. Laut dem Portal plugnroll.com betrug der Anteil der reinen Elektroautos an den Neuzulassungen in den ersten fünf Monaten des Jahres 2022 bereits 16,8 Prozent. Mittlerweile existieren im Kanton mit 225 Ladestationen pro 100’000 Einwohnerinnen und Einwohner noch einmal deutlich mehr als im Jahr 2020 mit 200. Der Kanton Graubünden hält damit den Schweizer Rekord.

Die ICCT-Analyse und die neuen Zahlen zeigen einerseits die Wichtigkeit der Ladestationen für den Erfolgszug der Elektromobilität auf, belegen aber auch, dass frühes politisches Handeln einen grossen Einfluss haben kann. Trotzdem gibt es noch viele Fördermassnahmen, die auch Graubünden ergreifen könnte. Dass ausgerechnet ein bergiger Kanton, in dem viele Menschen auf das Auto angewiesen sind und tendenziell längere, verbrauchsintensive Strecken zurücklegen, bei der Infrastruktur und dem Elektroauto-Anteil brilliert, widerlegt nebenbei auch das Vorurteil des nicht alpentauglichen Elektroautos.

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