Welche Probleme lösen Elektroautos – und wo werden sie überschätzt? Teil 2/3: Soziale Folgen

Die Atacama-Region in Chile ist ein wichtiger Lithium-Abbauort. Bild: Bruna Fiscuk / Unsplash

Lösen Elektroautos Verkehrsprobleme? Wie sauber sind sie wirklich und welche Folgen hat die Förderung der Rohstoffe für ihre Batterien? Mobimag beantwortet die drängendsten Fragen zur Elektromobilität in einer Serie. Im ersten Teil wird die Frage nach den sozialen Folgen der Elektromobilität.

von Stefan Ehrbar
21. September 2021

Wer im Internet Kommentare zu Elektroautos liest, stösst häufig auf diametral entgegengesetzte Meinungen. Die eine Seite hält Elektromobilität für masslos überschätzt und gefährlich, die andere bezeichnet diese Argumentation als gestrig. Schliesslich werde Benzin aus nicht aus Liebe hergestellt, heisst es beispielsweise. Wer hat recht?

Ein Grund für die häufige Kritik an der Elektromobilität ist die Förderung des Lithiums, das einen Hauptbestandteil fast jedes Elektroautos darstellt. Dies, weil das Material leicht ist, viel Energie speichern kann und aufgeladen werden kann. Lithium wird hauptsächlich in Australien und in den Salzseen der Andenregion von Chile, Bolivien und Argentinien gefördert. Lithium wird aus grossen Salzseen gespült und getrocknet – teils von der Sonne und bis zu zwei Jahre lang. Für diesen Vorgang sind grosse Mengen an Grundwasser nötig.

Für die Herstellung von Elektrofahrzeugen wird etwa 50 Prozent mehr Wasser benötigt als für die Herstellung von herkömmlichen Verbrennerfahrzeugen. Das berichtet die «New York Times». Um eine Tonne Lithium zu fördern, werden zwei Millionen Liter Wasser benötigt, schätzt die UNO. Ein normaler Elektroauto-Akku hat laut dem Portal efahrer.chip.de etwa 13,5 Kilogramm Lithium verbaut, was mit einem Wasserverbrauch alleine für das Lithium von 27’000 Litern einhergeht. 

Das ist deshalb ein Problem, weil der Grundwasserspiegel dadurch auch in der Umgebung sinkt und so den Bauern und Indigenen in der Region Wasser entzieht. Firmen entnehmen laut einem Bericht der «Deutschen Welle» in Chile sogar Wasser aus dem Fluss, so dass Bauern nicht mehr genügend Wasser haben. Dadurch werde den Bauern die Existenzgrundlage entzogen. Die beiden in der Atacama-Wüste operierenden Gesellschaften, die US-amerikanische Albemarle und die chilenische SQM, pumpen laut dem Bericht jedes Jahr mehr als 63 Milliarden Liter Salzwasser aus den tieferen Schichten nach oben. Laut der chilenischen Regierung wurde der Region zwischen 2000 und 2015 viermal so viel Wasser entzogen, wie auf natürliche Weise in das Gebiet gelangte – mit verheerenden Folgen für das lokale Ökosystem.

Aus ähnlichen Gründen protestieren Indigene auch in den USA gegen geplante Lithium-Abbauprojekte. Die USA sind heute fast vollständig von ausländischem Lithium abhängig. Verschiedene Firmen wollen das ändern und planen etwa im Norden des Bundesstaates Nevada Lithium abzubauen. Das Projekt hat den Namen «Lithium Americas» (zur Website). Indigene und Umweltschutzgruppen befürchten laut einem Bericht der «New York Times», dass der Abbau mit der Nutzung von Milliarden Litern Grundwasser einhergeht. Ein Teil davon könnte für einen Zeitraum von 300 Jahren kontaminiert werden. Hinzu komme ein «riesiger Berg von Abfall» – die Betreibergesellschaft schreibt von 354 Millionen Tonnen Abfall in Form von Säurelauge, Magnesiumsulfatsalz und Natrium- und Kaliumsulfatsalz, die während der Betriebsdauer von 41 Jahren anfallen würden.

«Elektrische Autos und erneuerbare Energien sind nicht so grün, wie sie scheinen», schreibt die Zeitung. Die Produktion von Rohstoffen wie Lithium, Kobalt oder Nickel sei häufig «ruinös für Land, Wasser, Natur und Menschen». Das traditionelle Minengeschäft sei eines der «dreckigsten Geschäfte, die es gibt», schreibt die New York Times.

Allerdings gibt es nicht zuletzt aus der Industrie Ansätze, wie Lithium schonender gefördert werden könnte. So gibt es etwa den Plan, Lithium aus dem Salzwasser unter dem Salton Sea, dem grössten See Kaliforniens, zu gewinnen. Mit speziell beschichteten Kügelchen soll Lithium aus der heissen Flüssigkeit gewonnen werden, die aus einem Grundwasserleiter etwa 120 Meter unter der Oberfläche hochgepumpt wird. Die Systeme sollen in sich geschlossen sein und an geothermische Kraftwerke angeschlossen werden, die emissionsfreien Strom erzeugen. Mit den Einnahmen soll gleich auch noch der See saniert werden, der bereits verschmutzt ist. Noch sind Projekte wie diese in der Finanzierungsphase, doch namhafte Hersteller wie BMW und Ford, die sich in der «Responsible Mining Assurance» zusammengeschlossen haben, setzen sich für verbindliche Standards und umweltschonende Förderarten ein.

Lithium ist allerdings nicht das einzige Problem. Kobalt, das verwendet wird, um die Batterien stabil zu halten, ist vielleicht noch das grössere. Zwar haben verschiedene Hersteller angekündigt, auf Kobalt verzichten zu wollen oder seinen Anteil zumindest deutlich zu senken (wie es etwa Tesla bereits getan hat), doch noch ist kein Akku serienreif, der ganz ohne Kobalt auskommt.

Kobalt ist deshalb kritisch, weil je nach Quelle bis zu 70 Prozent der weltweiten Vorkommen in der Demokratischen Republik Kongo liegen. Die Förderung im Kongo geschieht unter teils katastrophalen Bedingungen. Experten der deutschen Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe haben für eine Studie mehr als 50 Minen in den Kupfer- und Kobaltprovinzen Haut-Katanga besucht.

In einem Interview mit dem «Spiegel» hat sich der beteiligte Forscher Philip Schütte zu den Resultaten geäussert. Während der Grossteil des Kobalts im industriellen Bergbau gewonnen werde, der über verschiedene grosse internationale Unternehmen (wie etwa die schweizerische Glencore) laufe, die sich an Vorschriften hielten, entfielen 10 bis 20 Prozent auf den Kleinbergbau. Der finde grösstenteils illegal statt. Die Bedingungen seien extrem unsicher, die Einsturzgefahr der Stollen hoch: «Häufig sterben Menschen». Die schlecht bezahlten Bergleute würden von Zwischenhändlern ausgenutzt, so Schütte. Kinderarbeit gebe es, aber sie sei nicht ganz so verbreitet, wie zu befürchten gewesen sei. «In einem Fall haben wir 120 Kinder gesehen, die schwere Arbeit verrichten mussten. In einem anderen Bergwerk sahen wir vier Jugendliche, die Erzsäcke transportierten. Auf den anderen 56 besuchten Minen waren insgesamt etwa 2500 Kinder anwesend oder in leichtere Tätigkeiten involviert, jedoch nicht im Sinne schwerster Kinderarbeit», sagt Schütte.

Hinzu komme, dass auch in grossen Minen häufig Behördenmitglieder vor Ort seien, die dort eigentlich nichts zu suchen hätten. Menschenrechtsverletzungen seien dabei nicht ausgeschlossen. Kongo werde gleichzeitig als Abbaugebiet eher noch wichtiger, weil die geologischen Bedingungen so gut seien.

Neben den Problemen beim Lithium- und Kobaltabbau kommt hinzu: Die Lager von seltenen Erden, die für die Motoren der Elektroautos benötigt werden, beinhalten laut einem Bericht der US-Umweltbehörde EPA häufig radioaktive Substanzen. Bei ihrem Abbau kann Radioaktivität freigesetzt werden, etwa im Wasser oder im Staub. 

Fazit: Die Rohstoffgewinnung hat weitreichende und teils gravierende Folgen für Mensch, Natur und Umwelt. Das ist kein exklusives Problem von Elektroautos: Seltene Erden und Kobalt stecken in jedem Smartphone oder Fernseher. Auf der anderen Seite ist auch die Förderung von Erdöl nicht frei von Problemen – häufig werden etwa Wälder gerodet, und bei Katastrophen wie der Explosion der Bohrplattform Deepwater Horizon im Jahr 2010, als 500’000 Tonnen Erdöl ins Meer gelangten, sind die Folgen für die Umwelt katastrophal. Nichtsdestotrotz sind die Probleme im Zusammenhang mit der Gewinnung von Rohstoffen für Elektroautos real und werden sich mit steigendem Bedarf noch akzentuieren. Wenn Elektroautos sozial einigermassen nachhaltig sein sollen, dann muss die Art der Förderung und der Umgang mit Mitarbeitern dringend überdacht werden. Autohersteller als immer wichtigere Abnehmer haben einen grossen Einfluss darauf. Nutzen sie diesen nicht, werden die Folgen lokal verheerend sein.

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