Die Idee von Cargo sous terrain (CST) klingt bestechend: In Tunnels unter der Schweiz sollen Güter auf einer Art Rollband transportiert werden. Doch die Negativschlagzeilen reissen nicht ab. Nun steht mit Christian Späth als neuer Chef ein gelernter Bauingenieur vor der Aufgabe, die Vision zu reanimieren. Wie er das anpacken will.
18. November 2024
Da steht er also, der Mann, der das futuristischste Projekt der Schweiz verwirklichen soll. Manche halten es für visionär, einige für utopisch, viele für ein Luftschloss. Wobei dieses Projekt nicht, wie Elon Musks Raumfahrtpläne, in die Höhe zielt. Sondern, gutschweizerisch, unter den Boden: eine Güterbahn quer durch die Schweiz, privat finanziert, mit über 30 Milliarden Franken fast doppelt so teuer wie die Neat.
Christian Späth, 56, schreitet mit festem Gang zum Sitzungszimmer, in dem er seine Pläne erklärt. Er wirkt nicht wie Elon Musk, nicht wie ein Weltveränderer. Gross gewachsen, helles Hemd, dunkles, etwas langes Jackett, runde Brille mit feinem Rand. Man würde ihn eher im Bundesamt für Verkehr vermuten als in einem Start-up, das die Infrastruktur der Schweiz revolutionieren möchte. Diesem seriösen Mann würde man noch so manches abkaufen. Aber auch dieses Projekt mit dem Namen Cargo sous terrain, kurz CST?
Späth begann Anfang Oktober und steht vor einem Berg von Problemen. Zu den Hauptaktionären gehört die Credit Suisse. Die Bank wurde einst von Alfred Escher gegründet und finanzierte massgeblich seine damals neuartigen Eisenbahnpläne, auf denen die SBB fussen. In diesem innovativen Geist sehen sich Späth und die Köpfe hinter CST. Sie haben vielleicht eine weitere Gemeinsamkeit mit der Grossbank: Ihnen könnte das Geld ausgehen.
Christian Späth muss das Unternehmen nach negativen Schlagzeilen und Entlassungen im Sommer gewissermassen neu starten. Zuvor arbeitete der Bauingenieur über zehn Jahre lang bei Implenia, wo er zuletzt den Tiefbau verantwortete. Was sieht er nun als seine wichtigste Aufgabe? «Überzeugungsarbeit bei den Behörden leisten», antwortet er.
Finanziert ist bisher nur die Phase der Projektentwicklung und -planung. Dafür haben die elf Hauptaktionäre, darunter Coop, Migros, die Post, Swisscom und die Zürcher Kantonalbank sowie kleinere Aktionäre, 140 Millionen Franken eingeschossen. Davon leben 28 Mitarbeitende, darunter Ingenieure, IT- und Logistikspezialistinnen, die ihre Büros in Olten haben.
Es sind Peanuts im Vergleich zu den Summen, die noch fällig werden. Für die vorgesehene erste Teilstrecke von Härkingen nach Zürich werden nach aktuellen Schätzungen über 3 Milliarden Franken benötigt. Der Endausbau mit einem Netz von St.Gallen nach Genf und einer Linie nach Basel würde 35 Milliarden Franken verschlingen.
Die Grundidee von CST ist bestechend: In unterirdischen Röhren sollen Güter mit einer Geschwindigkeit von etwa 30 Kilometern pro Stunde zwischen den Zentren des Landes transportiert werden. Güter werden mit diesem System nicht erst aus den Logistikzentren losgeschickt, wenn ein Lastwagen oder Zug voll ist, sondern jederzeit. Sie kommen nicht in den Stau und verursachen auch keinen Verkehr, sondern sparen Lastwagenfahrten ein – ein Vorteil auch für die Umwelt. Genutzt werden könnte das System für fast alles, was auf eine Palette passt – von Kleidern und Elektronik über Alltagsgegenstände bis hin zu Lebensmitteln.
Weil Cargo sous terrain die vom Bund geforderten 100 Millionen Franken Startkapital aufbringen konnte, hat dieser 2021 mit dem Bundesgesetz über den unterirdischen Gütertransport die erste rechtliche Grundlage für das Pionierprojekt geschaffen. Danach begannen die Probleme. Für die konkrete Ausgestaltung braucht es nämlich einen Sachplan des Bundes, der öffentlich aufgelegt wird. Für die Grundlagen, die CST dafür erarbeitet hat, hat sich das Unternehmen harsche Kritik eingehandelt.
Die Stadt Zürich geht mit CST besonders hart ins Gericht. Die Unterlagen erfüllten mehrheitlich nicht einmal die gesetzlichen Anforderungen, schrieb sie im Frühling. Den drei geplanten Hub-Standorten in der Stadt steht sie kritisch gegenüber, etwa, weil sie in Wohngebieten liegen, wo es keinen Mehrverkehr vertrage. Denn während Cargo sous terrain auf den Autobahnen vor der Stadt Lastwagenfahrten verringert, kommen die Pakete dort wieder an die Oberfläche und müssen verteilt werden. CST würde denn auch nur eine Reduktion des Verkehrs um weniger als 1 Prozent in der Stadt Zürich bewirken, rechnet diese vor.
Auch der Kanton Zürich kam zum Schluss, dass der Ansatz vielversprechend sei, aber verschiedene Voraussetzungen «nicht erfüllt» seien. Das teilte er dem Bund mit. In eine ähnliche Richtung zielte die Stellungnahme des Kantons Aargau: Es bestünden «verschiedentlich noch grundsätzliche Vorbehalte sowie Unsicherheiten oder Unbehagen», schrieb er.
Christian Späth lässt sich davon nicht entmutigen. «Die Schweiz hat immer wieder bewiesen, dass sie solche Projekte umsetzen kann», sagt er. Einen konkreten Zeitplan mag er nicht mehr nennen: «Damit würden wir Fehler wiederholen». CST habe «vielleicht auch mal Informationen kommuniziert, die zu optimistisch waren». Er denkt nun in kleineren Schritten. Sein nächstes Ziel ist, dass der Bundesrat nächstes Jahr den Sachplan im Zwischenergebnis festlegt. Die ursprünglich für 2031 angekündigte Eröffnung des ersten Abschnitts wird nicht zu schaffen sein.
Eines der Probleme hinter der Verzögerung: Bisher hat Cargo sous terrain laut Späth viele Verfahrensschritte parallel ausgeführt. «Wir sind eine private Firma und wollen keine Zeit verlieren.» Doch die direktdemokratischen Entscheidprozesse funktionieren anders. Eine Instanz nach der anderen prüft, und deren Feedback wird in der Regel in die weitere Planung einbezogen.
Ein Vertreter eines involvierten Amts sagt, dass wohl auch wegen des von CST gewählten Vorgehens die Qualität der Unterlagen teils mangelhaft gewesen sei. Die Pläne seien geprägt von der technischen Machbarkeit, nicht der politischen. Um zwei Standorte in Zürich miteinander zu verbinden, schlug Cargo sous terrain etwa als Option vor, Transportröhren mit mehreren Metern Durchmesser über das ganze Gleisfeld zu bauen – «ein fast chancenloses Vorhaben».
Späth will das Vorgehen nun der üblichen Reihenfolge anpassen. In den nächsten Monaten will er Gespräche mit Behörden und möglichen Partnern führen und Kompromisslösungen finden. Das ganze Projekt wird zudem einem Realitätscheck unterzogen. Bei den Hub-Standorten in der Stadt Zürich etwa werde man über die Bücher gehen und dieser genauer aufzeigen, wie sie profitieren könne.
Zudem zeichne sich ab, dass eine Art Förderband statt der bisher angedachten autonomen Tunnelfahrzeuge zum Einsatz kommen dürfte. Prüfen will Späth, ob im Tunnelboden Röhren für den Transport von CO2 verlegt werden könnten, das etwa bei Kehrichtverbrennungsanlagen entsteht. Es könnte via Basel nach Skandinavien verschifft und dort im Boden eingelagert werden – ein «CO2-Abscheidung» genanntes Verfahren, das verschiedentlich schon praktiziert wird.
Späth bringt die nötige Erfahrung für die nächste Phase mit, in der juristische Fragen wichtig werden. Doch unendlich viel Zeit hat er nicht. Cargo sous terrain dürfte ohne nennenswerte Einnahmen derzeit zwischen 5 und 8 Millionen Franken jährlich ausgeben. Späth will die Zahl nicht kommentieren. Doch in ein paar Jahren muss das Projekt baureif werden. Sonst geht das Geld aus und er braucht gar nicht erst Finanzierungspartner für den Bau zu suchen.
An das «Pionierprojekt» glaubt Späth felsenfest. Er sei überzeugt, dass es ein tragfähiges Geschäftsmodell gebe. «Was wir bauen wollen, gibt es so noch nirgends», sagt er. «Auch Escher stiess beim Bau des Gotthardtunnels auf Widerstände. Und trotzdem hat er es geschafft.»
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