Triebwerk-Materialfehler führen reihenweise zu abgestellten Flugzeugen bei Swiss, Helvetic und weiteren Airlines

Seit 2016 werden Flugzeuge der Airbus Typenreihen A320neo und den kleineren A220 sowie die Regionalflugzeuge E2 von dem brasilianischen Hersteller Embraer mit GTF-Triebwerken ausgerüstet. Bild: RTX Pratt & Whitney

Weltweit sind rund 3.000 GTF-Triebwerke von Pratt & Whitney betroffen die seit 2023 und bis 2026 zu kontrollieren sind. Inspektions- und Wartungsarbeiten bedeuten in der Regel mehrwöchige Ausfälle von Flugzeugen da Ersatztriebwerke Mangelware und die Wartungskapazitäten für diese Arbeiten bei weitem nicht ausreichend sind.

von Peider Trippi,
6. Februar 2025

Von Verunreinigungen in den Turbinenscheiben ist die GTF-Triebwerkfamilie (Geared Turbofan – Getriebefan) des amerikanischen Herstellers Pratt &Whitney betroffen, einer Tochtergesellschaft des Rüstungskonzern RTX Corportation. Dabei handelt es sich um folgende Modelltypen: PW1100G-JM beim Airbus A320neo, PW1500G beim Airbus A220 und PW1900G bei den Embraer E-Jets Gen2. An der Herstellung der GTF-Triebwerke ist auch das deutsche Unternehmen MTU in Friedrichshafen beteiligt. Pratt &Whitney ist, neben Rolls Royce und GE-Aviation/CFM International, einer der drei grossen Triebwerkhersteller.

Worin bestehen die Triebwerkprobleme?

Bei den GTF-Triebwerken handelt es sich um eine neue Systemkonfiguration, die eine Treibstoff- und CO2-Reduktion von 25 Prozent pro Sitzplatz ermöglicht. Sie sind für einen SAF-Anteil von 50 Prozent zertifiziert. Erstmals wurde zur Überbrückung der unterschiedlichen Drehzahlen von Fan, Niederdruck- und Hochdruck-Turbine ein Untersetzungsgetriebe zwischen der Niederdruckturbine und dem Fan eingebaut. Dadurch sinken der Treibstoffverbrauch und der Geräuschpegel. Im Triebwerkskern entsteht dadurch mehr Hitze und Druck was höhere Anforderungen auf das eingesetzte Material zur Folge hat. Bis heute wurden über 11.000 GTF-Treibwerke an rund 100 Betreiber verkauft. Neben den aktuellen Materialverunreinigungen sorgte die GTF-Triebwerkfamilie immer wieder für Probleme:

  • 2019 traten bei den PW1500G-Triebwerken der Swiss Airbus A220 Schäden in der Niederdruckstufe auf, die zur Abschaltung des Triebwerks zwangen. Gemäss Lufttüchtigkeitsanweisung, den sogenannten AD (Airworthiness Directives) der amerikanische Luftfahrtbehörde FAA, mussten die Triebwerke in der Folge alle 50 Zyklen (Triebwerk-Einsatz) kontrolliert werden. Da die Embraer E2-Typenreihe von Helvetic die analog konstruierten PW1900G nutzt, waren auch diese Maschinen betroffen. Die neuen GTF-Triebwerke der Airbus A220 haben engere Abstände zwischen den Rotor-Blattspitzen und den äusseren Luftdichtungen. Dies führte zu einer instationären Belastung im Bereich der Blattspitze und in der Folge zu einer stärkeren Akustik-Kopplung und Flatterverhalten das dann zu einem HCF-Ermüdungsriss (High Cycle Fatigue) führte. Diese Vibrationsprobleme führten im Niederdruckverdichter zu Scheibenbrüche bei den Rotoren. Stellvertretend hierfür den veröffentlichten Unfallbericht vom amerikanischen National Transport Safety Board zum Vorfall des Swiss Airbus A220 HB-JCM vom 25. Juli 2019, ca. 200 km südöstlich von Paris. Analoge Vorfälle wiederholten sich bei der Swiss bei der HB-JCA am 16. September 2019 sowie mit der HB-JCC am 15. Oktober 2019 und bei der Air Baltic A220-300 YL-AAU am 12. Februar 2020.
  • Gemäss Aviation Week blieben die PW1500G-Triebwerke von Air Baltic A220-300 anfangs aufgrund von Brennkammern- und damit verbundenen Kühlungsproblemen nur 150 Stunden am Flügel, inzwischen «schaffte» die Airline wieder fast 5.000 Stunden. Infolge der seit Sommer 2024 notwendigen Inspektionen aufgrund der Materialverunreinigungen sank der Wert wieder auf durchschnittlich 2.200 Stunden zurück. Dies im Vergleich zu den ebenfalls eingesetzten B737-800, die über 20.000 Stunden am Flügel zwischen zwei Triebwerkwechsel aufweisen.
  • August 2021: Die FAA verabschiedet eine neue Lufttüchtigkeitsrichtlinie (AD) für alle Turbofan-Triebwerke der Serien Pratt & Whitney PW1500G und PW1900G. Auslöser für diese AD waren Berichte über Risse in der Rotorwelle des Hochdruckverdichters (HPC), die zu Abschaltungen während des Fluges und ausserplanmässigen Triebwerksausbauten führten. Diese AD erfordert den Ausbau und Austausch der HPC-Vorderradnabe und der HPC-Rotorwelle. Wenn der unsichere Zustand nicht behoben wird, kann dies zur Freisetzung einer Hochdruckturbine, zur Beschädigung von Flügel und des Flugzeugs führen. Der Kostenaufwand pro Triebwerk wurde von der FAA auf 110.000 US-Dollar veranschlagt.
  • Eine Verunreinigung im Pulvermaterial in den ersten zwei Hochdruck-Rotorstufen führte 2023 zu verkürzten Inspektionszyklen bei allen drei GTF-Varianten. Durch die Verunreinigungen besteht die Gefahr von Rissbildungen in den Rotorscheiben, die zum Bruch führen können. Damit besteht die Möglichkeit, dass sich Teile von der Turbine lösen und das Flugzeug beschädigen können. Das ME16-Pulvermetall wird zu einem Rohling unter hohem Druck verschmolzen und dieser dient als Ausgangsmaterial für die Turbinenscheibe. Die vom 4. Quartal 2015 bis 3. Quartal 2021 hergestellten und davon betroffenen Turbinenscheiben betreffen alle GTF-Typen. Ab Juli 2023 waren zuerst die Triebwerke von 1200 A320neo identifiziert, die einer Boroskop-Untersuchung unterzogen werden mussten. Vier Monate später wurde bekannt, dass rund 300 A220 und E2 ebenfalls betroffen sind. Hierzu müssen die Triebwerke jeweils in die Werkstatt.
Der vom Fan angesaugte Teil der Luft, der in den Kerntriebwerk strömt, wird in den Nieder- und Hochdruckverdichtern weiter verdichtet. Der Niederdruckverdichter ist für die Vorverdichtung zuständig, während der Hochdruckverdichter (in blau) für die Hauptverdichtung zuständig ist. Bild: MTU

Gemäss MTU ist die Sicherheit der GTF-Triebwerke nicht das zentrale Problem, sondern die begrenzten Werkstattkapazitäten. Es wird erwartet, dass letztlich ein bis zwei Prozent, das heisst rund 30 bis 60 Hochdruck-Turbinenscheiben von Rissbildungen betroffen sind und ausgetauscht werden müssen. Die restlichen, kontrollierten und nicht kontaminierten GTF-Triebwerke können wieder normal im Betrieb verwendet werden. Die hohe Nutzung der Triebwerke und die nun stark verkürzten Überprüfungsintervalle verschärfen die Kapazitätsprobleme zusätzlich und führen zu stillgelegten Flugzeugen, da kaum Reservetriebwerke greifbar sind.

Auswirkungen für den Flugbetrieb

Pratt & Whitney geht davon aus, dass bis 2026 durchschnittlich 350 Flugzeuge tagtäglich am Boden sein werden. 57 verschiedene Fluggesellschaften sind von diesem Triebwerksproblem betroffen und werden mit erheblichen betrieblichen und finanziellen Auswirkungen konfrontiert sein.

Die Lufthansa-Gruppe hatte 2024 rund 20 A320neo-Flugzeuge zu jedem Zeitpunkt durchschnittlich am Boden. Aufgrund der eingeschränkten Kapazitäten hatte Lufthansa einige Verbindungen zumindest temporär eingestellt. Bei Swiss waren zwischen drei und acht Maschinen der Typen A320 und A220 betroffen. Air Baltic, die fünfzig Airbus A220-300 betreibt, streicht aus dem geplanten Sommerflugplan 2025 19 Strecken respektive rund 4700 Flüge und reduziert die Frequenzen auf anderen Strecken. Damit kann sie sicherstellen, den Leistungsauftrag für die Lufthansa-Gruppe weiterhin zu erfüllen. Im Januar 2025 gab die ungarische Low-cost-Airline Wizz Air Ungarn bekannt, dass bis 2026 rund 40 Airbus 320/321neo von 230 Maschinen tagtäglich am Boden bleiben werden.

Die indische Fluggesellschaft Go First hatte im Mai 2023 Insolvenzschutz beantragt und macht langjährige Probleme mit ihren Pratt & Whitney-Triebwerken für die finanziellen Schwierigkeiten verantwortlich, die sie nicht überwinden konnte. Die US Low-cost-Airline Spirit hatte 2024 rund 20 Prozent, von insgesamt 40, der A320neo Flotte am Boden. Das Unternehmen, das schon vorher in finanziellen Schwierigkeiten stand, musste nach gescheiterten Fusionsverhandlungen Ende 2024 die Insolvenz anmelden.

Gemäss dem Portal The Aviation Herald hatte die Swiss zwischen 2018 und 2024 über 20 Vorfälle mit GTF-Triebwerk bei ihren Airbus 220. Rauch und Oelgerüche im Cockpit, uncontained engine failure (Triebwerkschaden) und Triebwerkabschaltungen im Flug. Wie weit diese Vorkommnisse auf die genannten GTF-Probleme zurück zu führen sind, wird nicht bekannt gegeben, dürften jedoch teilweise im Zusammenhang stehen. Seit 2024 häuften sich die Vorfälle mit Rauch in der A220-Kabine (Air Tanzania am 24. Februar 2024, Delta Airlines am 2. August 2024 und Swiss am 23. Dezember 2024 in Graz). Die Ursachenabklärungen laufen zurzeit, erste Erkenntnisse sind in Kürze zu erwarten. Hierbei stehen wieder die GTF-Triebwerke im Fokus.

Fazit

Die Produktion von Turbinenscheiben ist seit 2021 bis heute nicht mehr beeinträchtigt und Pratt & Whitney kann sowohl neue GTF-Triebwerk als auch neue Ersatzteile für alle Flugzeugtypen planmässig liefern. Die Gesamtkosten für den ME16-Rückruf werden von dem Triebwerkhersteller mit bis zu sieben Milliarden US-Dollar beziffert. Über 80 Prozent davon werden Entschädigungen an Airlines betreffen.

Im Juli 2024 gab Pratt & Whitney die Zulassung von SR Technics für die Wartung von GTF-Triebwerken als siebzehnte, weltweite Wartungsbasis bekannt. SR Technics wird dabeidie komplette Demontage, Montage und Prüfung des PW1100G-JM-Triebwerks für die Airbus A320neo-Flugzeugfamilie übernehmen. Über Arbeitsmangel dürfte sich das Unternehmen kaum beklagen.

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