Der Klimawandel beeinflusst zunehmend die Turbulenzen in der Atmosphäre und somit nehmen auch die Vorfälle im Luftverkehr zu. Die Klarluftturbulenz oder Clear Air Turbulence (CAT) ist eine starke Luftbewegung in Bereichen ohne sichtbare Wolkenphänomene. Sie führt zu vertikalen Beschleunigungen des Flugzeuges. Wir ordnen ein.
von Peider Trippi
21. November 2024
Luftturbulenzen sind im Wesentlichen die ungeordnete Bewegung der Luft, die typischerweise durch atmosphärischen Druck, Jetstreams, Wetterfronten oder Gewitter verursacht wird. Turbulenzen werden in leichte, mittelschwere, schwere und extreme Turbulenzen eingeteilt, wobei schwere und extreme Turbulenzen Personen-Verletzungen und letztere Schäden an Flugzeugen verursachen können.
Beispiel von einem schweren Vorfall Mitte November: Auf dem Flug von Buenos Aires nach Frankfurt durchquerte eine Lufthansa-Maschine eine innertropische Konvergenzzone. Die Boeing B747-8 kam dabei gemäss Handelsblatt in heftige Turbulenzen. Neben sechs Crewmitgliedern verletzten sich auch fünf Passagiere leicht. 329 Passagiere und 19 Besatzungsmitglieder haben sich an Bord befunden. Der Begriff innertropische Konvergenz fasst mehrere Vorgänge zusammen, die am Äquator stattfinden. Grund für diese Vorgänge ist die starke Sonneneinstrahlung, die zu aufsteigender Luft und somit zu Turbulenzen führt.
Der Zusammenhang zwischen Klimawandel und Luftturbulenzen liegt in der Dynamik der Atmosphäre. Die globale Erwärmung verstärkt den Temperaturunterschied zwischen den Polen der Erde und dem Äquator, was zu stärkeren Windscherungen innerhalb der Jetstreams führt. Diese Art von Turbulenzen treten unerwartet bei klarem Himmel auf und sind mit Bordradaren besonders schwer vorherzusagen oder zuerkennen.
Eine im Fachmagazin „Nature“ veröffentlichte Studie sagt voraus, dass der Klimawandel bis zum Ende dieses Jahrhunderts die Intensität von Turbulenzen um 10 bis 15 Prozent und ihre Häufigkeit um 40 bis 170 Prozent erhöhen könnte. Zur Entstehung von Klarluftturbulenzen tragen mehrere Faktoren bei:
- Jetstreams: Diese sind schmale Bänder starken Windes in den oberen Schichten der Atmosphäre, die sich in 10 Kilometern Höhe von Ost nach West um den Globus ziehen Diese Winde können Geschwindigkeiten von über 160 Kilometern pro Stunde erreichen. An den Rändern dieser Ströme treten häufig erhebliche Windscherungen auf, die zu Turbulenzen führen können.
- Temperaturgradienten: Starke Temperaturschwankungen können zu Änderungen der Luftdichte führen, was wiederum Turbulenzen verursachen kann. Beispielsweise kann der Temperaturunterschied zwischen der warmen Luft im Jetstream und der kälteren Umgebungsluft zur Instabilität beitragen.
- Atmosphärische Zirkulation: Grossräumige atmosphärische Zirkulation wie die Rossby-Wellen (sind grossräumige Wellenbewegungen zwischen der warmen subtropischen Luft im Süden und der kalten Polarluft im Norden in der Erdatmosphäre) und der Coriolis-Effekt (die Luft bewegt sich nicht entsprechend zum Vektor der Winkelgeschwindigkeit der Erdrotation) spielen ebenfalls eine Rolle bei der Entstehung von CAT, indem sie den Jetstream verändern lassen und so Bereiche mit starker Windscherung erzeugen.
- Gebirgswellen: Wenn starke Winde über Gebirgsketten wehen, können sie in der Atmosphäre Wellen erzeugen, die sich nach oben ausbreiten. Diese Wellen können turbulent werden, insbesondere wenn die Luft stabil und der Wind stark und stetig ist.
Turbulenzen in US-Studien aufgeschlüsselt
Gemäss dem Safety Research Report des amerikanischen National Transportation Safety Board ereigneten sich in den USA von 2009 bis 2018 etwa die Hälfte der turbulenzbedingten Ereignisse im Flugbetrieb während der Sink- oder Anflugphase des Fluges. In diesem Zeitraum ereigneten sich insgesamt 197 Ereignisse im Zusammenhang mit Turbulenzen, was 1,4 Prozent aller Ereignisse in der Zivilluftfahrt in den USA entspricht. 60 Prozent dieser Ereignisse ereigneten sich unter 6000 Meter, und Flugbegleiter waren mit 80 Prozent die am häufigsten verletzten Personen. Im Flugzeug traten turbulenzbedingte Verletzungen am häufigsten im hinteren Bereich auf und machten mehr als drei Viertel der Verletzungen der Flugbegleiter aus. Die meisten dieser Unfälle führten zu einer oder mehreren schweren Personen-Verletzungen, aber keinen Flugzeugschäden.
Gemäss NTSB machen konvektive Turbulenzen, das heisst vertikale Luftströme bei Wolkenbildungen und Stürmen, knapp zweidrittel aller Ereignisse aus, die vor allem in den Sommermonaten auftreten. Knapp einen Drittel sind Klarsichtturbulenzen, die im Februar sowie Oktober und November stark vertreten sind. Diese sind ein atmosphärisches Phänomen, das typischerweise in großen Höhenauftritt, wo klarer Himmel und ruhigere Bedingungen vorherrschen. Den Rest machen Gebirgswellenturbulenzen und Wirbelschleppenturbulenzen vorausfliegender Flugzeuge aus.
Klima und Klarsichtturbulenzen
Angesichts des gestiegenen Bewusstseins für Klarsichtturbulenzen (CAT) als Phänomen wird zunehmend darüber diskutiert, ob CAT-Vorfälle häufiger werden und ob der Klimawandel eine Ursache für diese Vorfälle ist. Der scheinbare Anstieg der Vorfälle steht im Einklang mit wissenschaftlichen Beobachtungen und Prognosen, wonach der Klimawandel die für CAT günstigen atmosphärischen Bedingungen verschärft und CAT damit zu einer dringenden Aufgabe für die Flugsicherheit macht.
In der Studie „Evidence for Large Increases in Clear-Air Turbulence Over The Past Four Decades“ 2023 von dem Department of Meteorology, University of Reading, UK wurden Trends von 1979 bis 2020 zu Turbulenzen bei klarer Sicht weltweit analysiert. Die Untersuchung ergab einen erheblichen Anstieg der Wahrscheinlichkeit, dass ein Flug CAT in Reiseflughöhe erlebt. Insbesondere in den mittleren Breiten wo der Jetstream-Effekt zunehmend stärker auftritt. Über dem Nordatlantik nahm die jährliche Gesamtdauer leichter CAT um 17 Prozent zu, die mittlere CAT um 37 Prozent und die schwere und stärkere CAT um 55 Prozent!
Meteorologen, Disponenten, Fluglotsen und Piloten stehen viele verschiedene Dienstleistungen zur Vorhersage von Turbulenzen zur Verfügung. Viele dieser Produkte sind jedoch proprietär und unterscheiden sich erheblich in ihren Fähigkeiten, was ein gemeinsames Bewusstsein und Verständnis der prognostizierten Turbulenzrisiken bei allen wichtigen Interessengruppen teilweise einschränkt. Die nationalen Wetterdienste erstellen Graphiken und Daten zur Vorhersage von Turbulenzen in der Luftfahrt, wie beispielsweise SIGMET-Hinweise (Significant Meteorological Information), AIRMET-Hinweise (Airmen’s Meteorological Information), Center-Wetterhinweise (CWAs) als Kurzzeit-Warnungen, aussagekräftige Wetterkarten auf hoher Ebene und grafische Turbulenzhinweise (GTG – graphical turbulence guidance).
Empfehlungen
CAT-Vorfälle wie jener der Singapore Airlines mit 85, teils schwer, verletzten Personen vom Mai 2024 sind selten. Doch Passagierflugzeuge werden immer wieder von Turbulenzen durchgerüttelt. Während des Fluges gibt es jedoch Bewegungen und Aktivitäten, wie beispielsweise der Service des Flugpersonals sowie das Anstehen zur Toilette in der Passagierkabine. Somit besteht immer ein Risiko. Angeschnallt zu sitzen, ist der effektivste Weg, um eine turbulenzbedingte Verletzung zu vermeiden. Die Flugzeug-Zelle und die elastischen Flügel halten auch schwerste Turbulenzen aus, werden aber nach solchen Vorfällen gründlich auf punktuelle Schäden untersucht.
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