
Alles begann 1977 mit einem Zitat von Freddy Laker: «Es kam ihnen (den etablierten Staatsfluggesellschaften) nie in den Sinn, dass es da draussen eine vierte Klasse gibt, die sich die menschliche Rasse nennt, die einfach nur zum niedrigsten Tarif fliegen will». Wir ordnen die Revolution am Himmel ein.
von Peider Trippi,
15. Mai 2025
Bald ist es 50 Jahre her, als die Billigflug-Revolution in Europa mit der Einführung des Laker Skytrain begann. Sechs Jahre lang hatte der Luftfahrtunternehmer mit festgefahrenen Interessen der Legacy-Carrier um das Recht gekämpft, günstige Tarife über den Atlantik anbieten zu dürfen, bevor am 26. September 1977 schließlich eine Skytrain-DC-10 mit dem Ziel New York abhob. Die Passagiere zahlten 59 Pfund Sterling pro Strecke (damals rund CHF 240), etwa die Hälfte des üblichen Flugpreises von London nach New York, wobei Mahlzeiten und Getränke an Bord gegen Aufpreis erhältlich waren. Laker nutzte in der Folge auch den amerikanischen Airline Deregulation Act (Liberalisierungsgesetz), der am 28. Oktober 1978 in Kraft trat. Der Skytrain erregte schnell die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und erweiterte den Reisehorizont, und Sir Freddie Laker wurde 1979 für seine Verdienste um die Luftfahrt zum Ritter geschlagen. In Folge einer zu raschen Expansion und hohen Kreditaufnahmen ging Laker im Juni 1982 mit Schulden von über 250 Millionen Pfund bankrott.

Eine gängige Definition eines Legacy-Carriers ist eine, in Europa meist staatliche, Fluggesellschaft die vor Beginn der Liberalisierung ihre Strecken betrieben. Oft wurden die Strecken von zwei Gesellschaften im Pool operiert, das heisst, die Einnahmen wurden entsprechend dem Passagieraufkommen geteilt. Diese Monopolstellung erlaubte hohe Tarife, die sich kaum veränderten. Erst mit der Liberalisierung des innergemeinschaftlichen EU-Luftverkehrs ab 1993 änderte sich dies grundlegend. Davor war das europäische Luftfahrtsystem von bilateralen Luftverkehrsabkommen zwischen nationalen Regierungen geprägt, wobei Strecken und Kapazitäten festgelegt wurden. Erstmals war es Fluggesellschaften nun auch erlaubt, die Aufnahme beliebiger Dienste mit freier Preisgestaltung anzubieten.
Geburtsstunde der Billigfluggesellschaften
Die Vereinigten Staaten deregulierten 1978 die Luftfahrtindustrie. Die Kontrolle über Bereiche wie Tarife und Strecken wurde aufgehoben und den Markteintritt neuer Fluggesellschaften wurde ermöglicht. Dies eröffnete eine neue Dynamik und die ersten Billigfluggesellschaften bildeten sich heraus. Die wohl berühmteste und zugleich erfolgreichste ist die Southwest Airlines, die sich aus einer lokalen Interstate-Fluggesellschaft im Staate Texas entwickelte. Das Geschäftsmodell von Southwest Airlines basierte (und das bis heute) auf äusserst effizienten Abläufen, einer Einheitsflotte, niedrigen Preisen und innovativen Buchungslösungen. Weitere neun US-Fluggesellschaften operieren heute mit diesem Geschäftsmodell von Alaska bis Florida.
Mit der Deregulierung in Europa setzte sich der Trend auch hier ein. Die 1984 gegründete Ryan Air als Kleinfluggesellschaft mit einem einzigen Flugzeug und 25 Mitarbeitern stieg 1987 mit drei BAC 1-11 ins Jetzeitalter ein. Im Jahr 1990 wurde das «kostengünstige» Geschäftsmodell aus den USA übernommen, indem sie alle Speisen und Getränke an Bord einstellte. Der Übergang zu einem der Low-cost-Pioniere Europas erwies sich als erfolgreich. 1991 war das erste profitable Betriebsjahr der Fluggesellschaft. 1995 folgte easyJet und basierte ab dem ersten Tag auf dem Low-cost Modell. Der Low-cost-Carrier Markt Deutschlands wurde mit Ablauf des Winterflugplans 2005/2006 von 15 Billigfluggesellschaften wie Air Berlin, DBA, Germanwings, Hapag Lloyd Express neben Ryanair, easyJet und anderen bedient. Bereits 323 Destinationen wurden aus Deutschland angeflogen, eine Verfünffachung zu 2003.

Das Low-cost Prinzip
In Europa benutzen heute über die Hälfte aller Flugpassagiere kostengünstige Flüge mit den Billigfluggesellschaften. Der Begriff «billig» assoziiert, dass alles an diesem Modell billig ist, von den eingesetzten (alten) Flugzeugen, eine rudimentäre Betriebsabwicklung, schlechte Qualität und unterbezahltes Personal. Ist dem so?
Der englische Begriff «low-cost-carrier» LCC umschreibt den Kern des Geschäftsmodells treffender. Eine konsequente Kostenbetrachtung aller Elemente nach dem Prinzip des ABC-Kostenmodells (activity-based-costing – Aktivitäten basierende Kostenbetrachtung) des Betriebs ermöglicht, selbst bei Tiefstpreisen noch operative Gewinne zu erzielen. Dazu gehören unter anderem folgende Überlegungen, die auch die Komplexität erheblich tiefer hält:
- Man setzt auf einen Flugzeugtyp. Heute ausschliesslich auf Boeing B737-800/MAX oder Airbus A320/321, was Wartungskosten, Ausbildung und operative Kosten tief hält.
- Vor den grossen Revisionen werden die Flugzeuge durch neue Modelle ersetzt. Dadurch haben LCC relativ junge und treibstoffsparsame Flotten im Einsatz.
- Diese Flugzeuge werden in Grossbestellungen beschafft, meist 100 bis 200 Flugzeuge, was hohe Einkaufsrabatte ermöglicht.
- Dank den kurzen Strecken sind die Flugzeuge bis zu 12 Stunden und mehr im operativen Betrieb, bis 50 Prozent mehr als bei herkömmlichen Fluggesellschaften. Das senkt die Kosten pro Flug.
- Verzicht auf Bordküchen, was mehr Sitze ermöglicht = mehr Einnahmen bei reduzierten Kosten.
- Teure Grossflughäfen werden gemieden. Es werden Regionalflughäfen bevorzugt. Dadurch ist man bei einem dichten Netzangebot näher am Wohn- respektive Zielort.
- Diese Flughäfen haben tiefere Gebühren. Sie bieten kurze Rolldistanzen zu den Standplätzen an und ermöglichen turnaround-Zeiten von 30 Minuten.
- Regionale Flughäfen haben kaum Kapazitätseinschränkungen, was ideale Flugzeiten ermöglicht.
- Oft bieten diese Flugplätze bei der Erstinbetriebnahme auch Sonderkonditionen an, um für LCC den Einstieg attraktiv zu machen.
- Es wird nur ein Punkt-zu-Punkt Betrieb angeboten. Kein Abwarten von Fluganschlüssen, entsprechende Gepäcktransfers entfallen. Dadurch ein stabilerer Betrieb mit weniger Verspätungen.
- An mehreren Basen werden Flugzeuge und Besatzungen stationiert, was ein dichtes Netzangebot ermöglicht und die Personalkosten respektive -Verfügbarkeit optimiert.
- Es werden nur Verbindungen angeboten, die Auslastungen von über 80 bis 90 Prozent erwarten lassen, was die Pro Sitz-Kosten pro Flug senkt.
- Fokussierung auf preissensible Geschäfts-, Freizeit- und VFR-Passagiere (Visiting Friends and Relatives).
- Papierloser Ticketverkauf ausschliesslich über das Internet, Zwischenhändler-Kosten entfallen.
- Reine Flugsitztarife (heute inklusive Gebühren) für einen Transport von A nach B mit Handgepäck. Zusatzbedürfnisse kosten extra.
- Check-in Schalter verschwinden, Zutritt und Gepäckabgabe gibt es nur noch mit digitaler Bordkarte.
- Wer kein online self-check-in macht bezahlt am Flughafen bis zu CHF 60 extra.
- Ein professionelles Yield-Management ermöglicht stündlich Angebot und Nachfrage in eine dynamische Flugpreis-Festsetzung einzubinden.
- Zusatzeinkommen werden durch Verkauf von Onboard-Verpflegung und -Verkäufe, Gewinnspielen und bevorzugtem Boarding usw. generiert.
- Kreatives Marketing, das von Überraschungseffekten lebt (Guerilla Marketing). Als Beispiel 100.000 Flüge für 10 Euro bei einer Streckeneröffnung.
- Auch das Ausreizen von kundenunfreundlichen Geschäftspraktiken gehören zum LCC-Modell. So hat Wizz Air vor dem Obersten Gerichtshof in Österreich Anfangs 2025 eine deutliche Niederlage erlitten und muss nun nachbessern. Insbesondere diverse Gebühren und Konditionen für Geschenkgutscheine und Wizz-Konten wurden als unzulässig eingestuft.
- Last-but-not-least: Arbeitszeit- und Lohnmodelle, die zwar unattraktiv sind aber gerade noch genügen interessierte Piloten/innen und Flugbegleiter/innen in den Job «bringen».
Tiefpreise und hohe Sicherheit
Die Low-Cost-Fluggesellschaften nutzen oft auch die «goldene Regel» … zehn Prozent tiefere Preise = zehn Prozent mehr Nachfrage. Nach Krisen wie der Corona-Pandemie erholten sich die LCC rascher, was ihnen schneller mehr finanziellen Spielraum (z.B. neue Tiefstpreise) ermöglichte.
Sie unterliegen aber auch Wettbewerbsfaktoren, die für alle Anbieter gleich sind wie Treibstoff-Preise, Flugsicherungsgebühren, Wartungszyklen für Zelle und Triebwerke und rechtliche Grundlagen für den Flugbetrieb wie den Flugzeugeinsatz und die Personal-Qualifikationen.
Die drei grossen europäischen LCC-Fluggesellschaften hatten bisher keine Unfälle, was unter anderem den überdurchschnittlich vielen Start- und Landeerfahrungen der Piloten, den einheitlichen Flotten und professionellen Führung und Wartungsbetrieben geschuldet ist.
Wie entwickelt sich das LCC-Modell weiter?
Die einen Anbieter wie Ryanair und Wizz Air gehen Richtung Ultra-low-cost, das heisst, die konsequente Kostenorientierung wird kompromisslos weiterverfolgt:
- Ryanair hat auf die Ankündigung der in Italien geplanten Erhöhung des kommunalen Zuschlags um 0,50 € pro Passagier mit folgender Aussage reagiert: Der CEO von Ryanair, Eddie Wilson präzisierte, dass Ryanair mit einem wettbewerbsfähigeren Regulierungsrahmen (d.h. ohne Zuschläge) bereit wäre vier Milliarden US-Dollar in Italien zu investieren, die italienische Flotte um 40 neue Flugzeuge zu erweitern und 250 neue Routen anzubieten. Damit könnten 20 Millionen zusätzliche Passagiere pro Jahr und 1.500 neue Arbeitsplätze für Piloten, Flugbegleiter und Ingenieure generiert werden.
- Die neue Abfluggebühr in Dänemark von CHF 6.30 bewog Ryanair, ihre Basis in Billund zu schliessen und stellt die Flüge nach Aalborg ein. Dadurch entfallen 32 Verbindungen und 1.7 Millionen angebotene Sitze pro Jahr.
- Wizz Air bleibt sich treu und argumentiert «Wir haben keine Business-Class-Sitze, ein weiteres Beispiel für unnötige CO2-Emissionen».
Andere Fluggesellschaften wählen den Weg des Hybrid-Konzeptes, die Merkmale von Billigfluggesellschaften und Full-Service-Fluggesellschaften kombinieren. Verschiedene LCC-Anbieter wendeten sich dieser Strategie zu:
- Southwest bietet in 2025 erstmals ein Interline-Abkommen an. An drei US-Flughäfen wurden die Streckennetze mit Icelandair verknüpft und durchgängige Buchungen ermöglicht. Mobimag berichtete darüber.
- IndiGo verkündete im November 2024 ein maßgeschneidertes Business-Produkt für Indiens verkehrsreichste und geschäftlichste Strecken zusammen, mit speziell zusammengestellten, gesunden Mahlzeiten einzuführen. Diese IndiGo «Stretch-Kabine» wird über 12 Sitze in einer 2-2-Konfiguration verfügen.
- Jetblue (USA) rüstete ihre Transatlantik-A321 mit 16 Business-Klass-Sitzen aus. Jede Mint Suite bietet direkten Zugang zum Gang und einen vollständig flachen Liegesitz. Kooperation mit United, die es den Kunden seit 2025 ermöglicht, Vielfliegermeilen bei beiden Fluggesellschaften zu sammeln und einzulösen.
Ob ein Ultra-low-cost oder ein Hybrid-Modell das erfolgreichere LCC-Geschäftsmodell sein wird muss sich erst noch zeigen. Air Berlin, als ehemals grösste Billigfluglinie Deutschlands expandierte durch Übernahmen ins Langstreckengeschäft, führte Codeshare-Flüge mit American Airlines und Finnair ein und schloss sich später der Oneworld-Allianz an. Letztlich war unklar, für welches Geschäftsmodell Air Berlin eigentlich steht und hatte bis 2016 innerhalb dreier Jahre 1,14 Milliarden Euro Schulden eingeflogen. Damit war das Schicksal besiegelt.
Die drei europäischen, unabhängigen LCC erreichten 2024 einen Passagiermarktanteil in Europa von 50 Prozent. Sie haben die wenigsten Verspätungen, fliegen oft mit um die 90 Prozent Auslastung und fliegen, zumindest bei Ryanair, Rekordergebnisse ein. Ob LCC oder Hybrid-Airline … am meisten profitieren die Kunden, was ja eigentlich Sinn der Sache ist.
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