Reisen ins Ausland: Wie sich die Bahn mit Verspätungen, Ausfällen und komplizierten Apps selbst behindert

Ins Ausland mit der Bahn, das braucht oft mehr Nerven als vorhanden. Bild: SBB

Die Reiselust steigt nach zwei Jahren der Krise. Flugzeuge und Züge füllen sich. Doch die Bahn steht dem Aufschwung selbst im Weg – mit einem unzuverlässigen Angebot, komplizierten Buchungsmöglichkeiten und Baustellen zur dümmsten Zeit. So verteidigt sich die SBB.

von Stefan Ehrbar
3. Mai 2022

Menschen in der Schweiz wollen wieder reisen. Nach zwei Jahren der Coronapandemie, komplizierten Einreiseregeln und teils geschlossenen Grenzen scheint der Nachholbedarf gewaltig. «Die Nachfrage hat wieder angezogen», sagte kürzlich Martin Wittwer, Präsident des Schweizer Reise-Verbandes den Tamedia-Zeitungen. In diesem Jahr dürften laut ihm schon 80 Prozent des Umsatzes von 2019 erreicht werden, während Reisenden gleichzeitig Nachhaltigkeit immer wichtiger wird. «Wir rechnen damit, dass wir im Sommer bei den Buchungen nach europäischen Destinationen wieder auf das Vorkrisenniveau kommen werden», sagte auch Kuoni-Sprecher Markus Flick dem «Tagesanzeiger».

Ideale Voraussetzungen also für die Bahn. Das Angebot internationaler Züge wurde wieder hochgefahren, Nachtzüge aus der Schweiz ins Ausland sind teilweise schon Monate im Voraus ausgebucht, die Nightjet-Betreiberin ÖBB spricht von einer «sehr starken Buchungslage». Hamburg, Wien und Berlin sind aus der Schweiz hinaus besonders gefragte Destinationen.

«Die Buchungen entwickeln sich sehr erfreulich, dies nach einem corona-bedingten harzigen Start in den Monaten Januar und Februar», sagt SBB-Sprecher Daniele Pallecchi zu Mobimag. «Die Buchungen haben vor allem nach den Lockerungen der Massnahmen stark angezogen.» Bei einigen Destinationen wie Deutschland sei die Bahn bereits wieder auf dem Niveau von 2019, bei Italien noch nicht ganz, weil es dort länger Einschränkungen gegeben habe. «Sehr zufrieden sind wir auch mit dem Buchungsstand Richtung Frankreich und bei den Nachtzügen», sagt Pallecchi. Bei den Interrail-Buchungen sei die Bahn gar über dem Stand von 2019. Er nennt Paris, Hamburg, aber seit einigen Wochen auch Mailand, Genua und Bologna als Destinationen, die besonders gut laufen.

Das Problem ist nur: Die Bahn ist drauf und dran, diese gute Ausgangslage zu verscherzen. Es harzt in verschiedenen Bereichen – allen vor der Pünktlichkeit und bei den Buchungsmöglichkeiten. Das zeigen Analysen von Mobimag.

So ist der Kauf von Billetten für internationale Verbindungen noch immer nicht in der SBB-App möglich – und zwar selbst bei Direktzügen. «Verbindungsangebote fehlgeschlagen», gibt die App auch im Jahr 2022 noch als Fehlermeldung aus. Im vergangenen Jahr versprach SBB-Chef Vincent Ducrot gegenüber dem Portal Watson.ch, dass es bis Ende Jahr möglich sein soll, zumindest in Richtung Deutschland und Österreich Tickets via App kaufen zu können. Daraus wurde nichts – nachdem die Bahn im Thema schon seit einem Jahrzehnt Besserung verspricht.

Für den Kauf von internationalen Tickets via App kommuniziert die SBB mittlerweile noch nicht einmal ein Datum mehr, wie CH Media berichtete – und die Einbindung der Nachbarländer in den fürs Handy nicht optimierten Webshop könnte noch bis Ende nächstes Jahr dauern. Und selbst Funktionen wie das Reservieren eines genauen Sitzplatzes, welche etwa auf bahn.de längst angeboten werden, sucht man bei der SBB weiterhin vergebens. Wer ins Ausland mit dem Zug reist, erhält bei Selbstbuchung irgendeinen Platz zugewiesen, während er bei anderen Bahnen ausgewählt werden kann.

Diese Probleme sind bereits länger bekannt. Dass die Zeit der Corona-Krise nicht genutzt wurde, einen Schritt vorwärts zu gehen, muss als vertane Chance betrachtet werden – zumal die Bahn auch bei der Pünktlichkeit nicht brillieren kann. So waren etwa über Ostern auf Relationen wie Zürich-Stuttgart etliche Züge verspätet oder überfüllt.

Mobimag hat für die Zeit vom 20. respektive 21. April bis 24. April die Pünktlichkeit ausgewählter Verbindungen nach Deutschland analysiert. Der Zeitraum wurde ausgewählt, weil er in den Ferien lag, in denen viele mit dem Zug verreisten – aber keine besonderen Feiertage wie Ostern beinhaltete, die das System zusätzlich strapazieren.

Untersucht wurden sämtliche Eurocity-Verbindungen von München nach Zürich und die ICE 75 und ICE 77 von Hamburg-Altona via Basel SBB, Zürich HB und Sargans nach Chur sowie von Kiel via Hamburg und Basel SBB nach Zürich HB.

ICE 75 kam an den fünf Tagen vom 20. bis 24. April nur einmal pünktlich in Zürich HB an. Am 20. April endete er mit fast drei Stunden Verspätung vorzeitig in Basel SBB, am 21. fiel er trotz geringer Verspätung von 10 Minuten in Basel SBB aus. Am Freitag und Sonntag belief sich die Ankunftsverspätung auf vergleichsweise geringe 7 und 10 Minuten.

ICE 77 war ebenfalls nur in zwei von fünf Fällen pünktlich. Am 20. April endete er mit 50 Minuten Verspätung vorzeitig in Basel Badischer Bahnhof, am 21. und 22. lief alles wie geplant, am Samstag fiel die Verbindung ab Basel SBB mit einer Verspätung von 8 Minuten aus. Am Sonntag schaffte es der ICE mit 15 Minuten Verspätung immerhin ans Ziel nach Zürich.

Besonders ärgerlich für Fahrgäste ist, dass weiterhin viele ICE unplanmässig in Basel SBB oder am Badischen Bahnhof enden – und dort das Gleis und der Zug gewechselt werden muss, wodurch weitere Verzögerungen entstehen und die Sitzplatzreservationen nichtig werden, nicht zu sprechen vom Komfort-Verlust der entsteht, wenn Gepäck unplanmässig über den Bahnhof geschleppt werden muss.

Bei den Eurocity von München, die seit Mitte April sechsmal pro Tag in dreieinhalb Stunden die Strecke zurücklegen sollten, hat sich die Situation seit Anfang Jahr verbessert, aber von einem stabilen Betrieb kann nach wie vor nicht die Rede sein. Von den insgesamt 24 Ankünften in Zürich HB zwischen dem 21. und 20. April waren 16 pünktlich – immerhin zwei von drei. Spitzenreiter bei den unpünktlichen Zügen war EC 190 am 21. April mit einer Ankunftsverspätung von 43 Minuten in Zürich. Auf drei weiteren Verbindungen wurden Verspätungen von 24 bis 33 Minuten verzeichnet.

Viele Verbindungen nach Deutschland sind dieser Tage ein pünktlichkeitsmässiges Trauerspiel – und ganz bestimmt keine Werbung für Auslandreisen mit der Bahn. Ein schlechtes Timing beweist die Bahn auch mit Bauarbeiten: Ausgerechnet in den wichtigen Reisemonaten Juni und Juli fallen sämtliche TGV-Züge von Zürich HB nach Paris aus. Stattdessen muss in Basel umgestiegen werden. Da nützt es wenig, dass Betreiberin TGV Lyria auf Twitter fleissig Werbung schaltet und die klimafreundliche Art des Reisens bewirbt. In den Frühlingsferien mussten schon Österreich-Reisende feststellen, dass viele Direktzüge wegen Bauarbeiten nicht verkehren. Stabil und zuverlässig scheint derzeit eigentlich nur der Verkehr nach Italien zu funktionieren – ein Satz, den vor zehn Jahren nur wenige geglaubt hätten.

Doch wie begründet die SBB die desolate Pünktlichkeits-Situation und die Baustellenplanung?

Zum Verkehr mit Deutschland sagt SBB-Sprecher Daniele Pallecchi, es sei leider so, dass die Bahn im Verkehr mit Deutschland derzeit mit vielen Verspätungen zu kämpfen habe – «dies zum Ärger der Kundinnen und Kunden». Pallecchi: «Im Verkehr auf der Rheinschiene werden deshalb manchmal Züge nur bis Basel SBB geführt; Reisende können dann entweder mit einem Dispozug oder einem fahrplanmässigen Zug nach Zürich weiterreisen.» Beheben könne die SBB die Ursache nicht, da die Verspätungsgründe – etwa Baustellen oder zeitweise eine Totalsperre im Raum Freiburg i.Br./Rastatt – in Deutschland liegen.

Die Pünktlichkeit auf den Zügen von Zürich nach München wiederum habe sich in den vergangenen Wochen verbessert, «aber wir sind noch nicht zufrieden, da es noch einige Züge mit Verspätungen gibt». Die Gründe seien unter anderem Baustellen, aber auch technische Probleme wie der Ausfall der Neigetechnik. «Erfreulich ist, dass das neue Zugsicherungssystem ECTS/Baseline Level 3 gut funktioniert», sagt Pallecchi.

Zu den Ausfällen der TGV-Züge von Zürich nach Paris sagt Pallecchi, für die Sanierung des Adlertunnels müsse das Bauwerk während 7 Wochen für den Zugverkehr gesperrt werden.

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