Gibt Polizei bei Unfällen Falschen die Schuld? // Prioritäten für den ÖV // Frankreich will Fahrgemeinschaften

Sind Polizeiberichte aus Sicht der Autofahrer geschrieben? Bild: Ian Valerio/Unsplash

Studien belegen: Die Polizei neigt in ihren Berichten dazu, die Schuld für Unfälle an ungeschützte Verkehrsteilnehmer zu delegieren. Ausserdem im wöchentlichen Blick aufs Ausland mit den Links zu spannenden Geschichten: Die vier grössten Herausforderungen für den ÖV im Jahr 2023 – und so fördert Frankreich Fahrgemeinschaften.

von Stefan Ehrbar
23. Dezember 2022

Gibt Polizei den Falschen die Schuld an Unfällen?

Anfang Dezember fuhr ein Mann in einem Auto in Berlin einen Fussgänger auf einer geraden Strasse um und verletzte ihn dabei schwer. In der Polizeimitteilung zum Fall hiess es danach, der Fussgänger sei «mit dem Wagen des 44-Jährigen zusammengestossen, der das Auto nicht mehr rechtzeitig bremsen konnte.»

Über dieses Beispiel berichtete diese Woche die «Süddeutsche Zeitung». Es sei eine Formulierung, welche die Verantwortung klar dem Fussgänger zuweise. Ähnliche Beispiele liessen sich tagtäglich finden, heisst es im Artikel.

Forscher aus Deutschland, Österreich und der Schweiz untersuchen nun, wie Polizisten ihre Unfallberichte verfassen. Diese verleiteten Leser oft dazu, die Schuld eher bei den ungeschützten Verkehrsteilnehmern wie Fussgängern und Velofahrern zu suchen, wird Dirk von Schneidemesser zitiert, Sozialwissenschafter am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) in Postdam.

Oft wird laut von Schneidemesser etwa die Formulierung verwendet, dass ein Autofahrer nicht mehr habe rechtzeitig bremsen können – ein Hinweis auf übersetzte Geschwindigkeit. Andere kritische Formulierungen sind laut dem Forscher etwa, dass Fussgänger «plötzlich auf die Strasse geraten» oder «übersehen werden».

Während Verfehlungen von Fussgängern und Velofahrern in Polizeiberichten oft akkurat notiert würden, würden Verfehlungen von Autofahrern auch einmal mit der tiefstehenden Sonne erklärt. Von Schneidemesser spricht in diesem Zusammenhang von Verantwortungsdiffusion.

Im anglikanischen Sprachraum wurde das Phänomen laut dem Artikel schon vielfach wissenschaftlich nachgewiesen und beschrieben. Mit seiner Studie, die er zusammen mit Linguisten der Universitäten Wien und Bern durchführt, will von Schneidemesser die Polizei, die Politik und Verwaltung und die Medien sensibilisieren. Letztere übernähmen die Polizeiberichte oft ungeprüft.

Vier Prioritäten für den ÖV im neuen Jahr

Inflation, hohe Energiekosten, Krieg in der Ukraine, Homeoffice – die Herausforderungen für den öffentlichen Verkehr sind auch im nächsten Jahr gross. Die Calypso Networks Association, eine Non-Profit-Organisation aus dem Transportwesen mit Mitgliedern wie der Metro Lissabon, SNCF oder Thales hat nun vier Prioritäten für das nächste Jahr herausgearbeitet.

In einem Artikel beschreibt der Calypso-Vorsitzende Philippe Vappereau, was der öffentliche Verkehr berücksichtigen soll, um nächstes Jahr nachhaltig wachsen zu können. Als erste Priorität nennt er die Bewältigung der steigenden Inflation und Lebenshaltungskosten.

Dieses Phänomene setzten die knappen Kassen von Fahrgästen und Bestellern zusehends unter Druck. Während einige Behörden etwa in Spanien mit Gratis-ÖV reagierten oder mit dem 49-Euro-Ticket in Deutschland, sei das für andere Regionen nicht praktikabel. «Der Schlüssel liegt in der Flexibilität der Tarife», schreibt Vappereau. Solche ermögliche es den Fahrgästen, auf erschwingliche Art und Weise einen Mix aller Tarifarten zu nutzen. Mit neuen Mobility-As-A-Service-Angeboten könnten die Kundinnen und Kunden zudem einen höheren Nutzen aus dem ÖV ziehen.

Als zweite Priorität nennt er die Chip-Knappheit, die durch Produktionsrückgänge wegen der Coronakrise ausgelöst wurde. Diese betrifft auch die ÖV-Branche. Wer in der Schweiz derzeit einen Swisspass bestellt, muss aus diesem Grund beispielsweise bis zu acht Wochen warten, wie die Tamedia-Zeitungen berichteten. Unternehmen sollten sicherstellen, dass sie Chips von mehreren Quellen beziehen. Auch mobiles Ticketing könne dazu beitragen, den Druck zu verringern, schreibt Vappereau.

Als vierte Priorität nennt er die Vermeidung einer zu starken Vereinfachung des Ticketings. Im ÖV gebe es nun mal keine Einheitsgrösse für alle. Fahrgäste nutzten verschiedene Verkehrsmittel in verschiedener Häufigkeit und hätten eigene Präferenzen, wie sie die Fahrscheine nutzen und aufbewahren wollten. Die Bedürfnisse in einer Grossstadt seien nicht dieselben wie auf dem Land. Ein offener Kreislauf werde den Bedürfnissen einer vielfältigen Gemeinschaft nicht alleine gerecht. Die Zukunft werde aus einem Mix aus geschlossenen und offenen Systemen bestehen, die den Fahrgästen Komfort und Sicherheit bieten und den Bestellern und Betreibern Kontrolle über ihr Netz und ihre Daten.

Zu guter Letzt müsse es eine Priorität sein, den ÖV umweltfreundlicher zu machen. Im Bereich des Ticketing fallen laut Vappereau etwa wegen Papiertickets hohe Abfallmengen an Papier und Kunststoff an. Die Dematerialisierung müsse deshalb eine Priorität sein.

So fördert Frankreich Fahrgemeinschaften

Frankreich hat Massnahmen beschlossen, mit denen Fahrgemeinschaften gefördert werden. Dies geschieht vor dem Hintergrund von Energieeinsparungen und Klima-Vorteilen.

Bis im Januar werde ein Bonus eingeführt, damit jene, die Fahrgemeinschaften nutzen, daraus einen finanziellen Vorteil nutzen können, sagte Verkehrsminister Clément Beaune laut einem Artikel auf globalmagazin.com. Das sei ein Anreiz, die Kultur zu ändern.

Insgesamt stehen für die Fördermassnahmen 150 Millionen Euro zur Verfügung. Profitieren können Menschen, die Fahrgemeinschaften nutzen, auf verschiedene Art und Weise.

Wer erstmalig eine Fahrgemeinschaft über eine Plattform anbietet, erhält 25 Euro. Bei der zehnten Fahrgemeinschaft werden weitere 75 Euro ausbezahlt, wenn diese innerhalb von drei Monaten nach der ersten Fahrt stattfindet.

Wenn Kommunen Fahrgemeinschaften zusätzlich subventionieren wollen, übernimmt der Staat zudem die Hälfte der Kosten. In verschiedenen Gemeinden und Regionen wie Montpellier übernehmen diese bereits jetzt die Kosten von Mitfahrenden, so dass diese kostenlos Fahrgemeinschaften nutzen können.

Zudem will der französische Staat laut dem Artikel den sogenannten Grünen Fonds mit bis zu 50 Millionen Euro speziell für Fahrgemeinschaften finanzieren. Damit sollen etwa spezielle Spuren auf den Strassen für Fahrgemeinschaften markiert werden oder wissenschaftliche Studien durchgeführt werden.

Insgesamt will Frankreich mit den Massnahmen den Besetzungsgrad der privaten Autos von 1,1 auf 1,8 erhöhen. Laut der Zeitung «Le Monde finden in Frankreich schon heute täglich 900’000 Fahrgemeinschaften statt, eine Zahl, die nun bis 2027 auf drei Millionen steigen soll. So könnten täglich bis zu 5 Millionen Tonnen CO2-Emissionen gespart werden.

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