Was bringen HGV-Strecken? – Amtrak will Netz ausbauen – Das bringen Pop-up-Velowege 🆓

Wie soll das europäische Bahnnetz ausgebaut werden? Bild: SNCF

Was hat im Ausland Schlagzeilen gemacht? Jeden Samstag wirft Mobimag einen Blick über die Grenzen. Diese Woche mit Gedanken zum Sinn und Unsinn von Hochgeschwindigkeitsstrecken in Europa, dem Milliarden-Dollar-Programm für die US-Eisenbahn und einer neuen Studie, die zeigt: Pop-up-Velowege begeistern selbst Velofahrer.

von Stefan Ehrbar
3. April 2021

Hochgeschwindigkeits-Züge: Wie sinnvoll sind sie?

In einem Artikel im deutschen Magazin «Der Freitag» setzt sich Bernhard Knierim von der europäischen Bahnförderungs-Initiative «Back on Track» kritisch mit den Visionen zu neuen Hochgeschwindigkeits-Strecken in Europa auseinander. In derselben Zeitschrift war kürzlich etwa ein «Superzug» von Lissabon nach Helsinki mit Geschwindigkeiten von 350 Kilometern pro Stunde gefordert worden.

Dabei gebe es viele Argumente, die gegen den Bau solcher Strecken bauen, schreibt Knierim. Ihr Bau erfordere immens viel Energie und Beton, was einen «gigantischen» CO2-Ausstoss zur Folge habe und zudem viel Natur zerstöre. «Selbst wenn eine solche Strecke zahlreiche Menschen vom Flugzeug in den Zug lockte, es würde Jahre dauern, diese Schäden auszugleichen», schreibt er. Auch die Instandhaltung sei aufwendig – ganz abgesehen davon, dass bis zu einer Realisierung eher Jahrzehnte als Jahre vergingen dürften.

Hinzu komme, dass das Fahren bei Geschwindigkeiten von 350 Kilomtern pro Stunde alles andere als klimafreundlich sei. Der Energieverbraucht steigt exponentiell mit der Geschwindigkeit, «der Nutzen jedoch keineswegs». Denn grössere Fahrzeitverkürzungen liessen sich nur dann realisieren, wenn die Züge auch längere Strecken ohne Unterbrechung fahren. Das wiederum führe aber dazu, dass viele Menschen entlang der Strecken und ausserhalb der grossen Städte abgehängt würden. «Die Bahn wie das Flugzeug als blosse Punkt-zu-Punkt-Verbindung zwischen den Metropolen zu denken, ist falsch, sie ist nur als Netzwerk von gut aufeinander abgestimmten Zügen durch das ganze Land wirklich nützlich», schreibt Knierim.

Als Vorbild sieht er die Schweiz: «Die Optimierung des Netzwerks, wie es die Schweizer Verkehrsplaner zur Perfektion getrieben haben, ist der richtige Weg», so der Autor. «Oft ist eine komfortable Reise mit guten Umstiegen mehr wert als höchste Geschwindigkeiten auf Einzelstrecken.» Geschwindigkeiten von über 250 Kilometern pro Stunde machten im dicht besiedelten Mitteleuropa keinen Sinn.

«Viel zu lange» habe insbesondere Deutschland neue Hochgeschwindigkeitsstrecken ohne deren Einbindung in das bestehende Gesamtnetz geplant, erst jetzt finde ein langsames Umdenken statt. Auf europäischer Ebene sollten diese Fehler nicht wiederholt werden, so Knierim. Stattdessen plädiert er für einen forcierten Ausbau der Nachtzüge – denn dort sei der Zeitaufwand auch geringer, weil man im Schlaf reise.

Amtrak plant dank Biden-Plan neue Strecken

US-Präsident Joe Biden hat diese Woche ein riesiges Infrastrukturprogramm vorgestellt. Davon profitiert in hohem Mass auch die Bahn, die bisher im Personenverkehr ein Nischendasein fristet. Insgesamt 2 Billionen US-Dollar will Biden in den nächsten acht Jahren in die Infrastruktur investieren, 620 Milliarden US-Dollar davon in die Verkehrsinfrastruktur. Profitieren werden die Eisenbahn mit 80 Milliarden US-Dollar und der öffentliche Nahverkehr mit 85 Milliarden Dollar.

Das sei eine «massive Erhöhung» der bisher zur Verfügung stehenden Mittel, schreibt das Portal «Zukunft Mobilität». Das Budget für den öffentlichen Nahverkehr werde damit verdoppelt, jenes für die Eisenbahn gar vervierfacht.

Es sei «die grösste Investition in amerikanische Arbeitsplätze seit dem Zweiten Weltkrieg», sagte Biden bei einer Präsentation des Plans am Donnerstag. Finanziert werden soll der Plan über eine Erhöhung der Steuern. So sollen etwa höhere Abgaben auf Auslandsgewinne von US-Firmen eine Billion Dollar Mehreinnahmen generieren. Ob das Vorhaben im Senat durchkommt, wo es auf 60-Ja-Stimmen angewiesen ist (die Demokraten halten 50 Sitze), ist unklar und hängt von der Kompromissbereitschaft der Republikaner ab, schreibt die «Süddeutsche Zeitung».

Im Vergleich zu den Summen, die hierzulande in den Bahnausbau gesteckt werden – alleine für den Ausbauschritt 2035 sind es 13 Milliarden Franken – ist das nach wie vor sehr wenig, zumal die USA fast 40mal so viele Einwohner zählen wie die Schweiz. Allerdings startet die Bahn praktisch bei Null: Amtrak als führende Gesellschaft im nationalen Personenfernverkehr transportiert zurzeit gerade einmal etwa 30 Millionen Passagiere jährlich, so viele wie die SBB in einem Monat.

Trotz der unsicheren politischen Erfolgsaussichten hat Amtrak denn auch schon bekannt gegeben, wie sie ihr Netz ausbauen will, wenn der Kongress den Investitionen zustimmt. In den nächsten Jahren will Amtrak die Zahl der Passagiere um 20 Millionen jährlich auf 52 Millionen steigern. Bis zu 30 Strecken sollen neu gebaut werden, auf etwa 20 soll das Angebot ausgebaut werden. Mit der «Vision 2035» will Amtrak bis zu 160 Orte neu in das Streckennetz aufnehmen.

So will Amtrak ihr Netz ausbauen. Bild: Amtrak

«Amerika hat sich verändert, aber unser Schienennetz nicht», schreibt die Gesellschaft. «Millionen von Menschen haben keinen Zugang zu zuverlässigen, schnellen und nachhaltigen Bahnverbindungen. Das ist weder fair noch entspricht es der Gleichberechtigung.» Viele der grössten und am schnellsten wachsenden Metropolitanräume hätten «nicht die Eisenbahn, die sie verdienen». Wichtige Städte wie Houston, Atlanta und Cincinnati hätten ein «schlichtweg unzureichendes Eisenbahnangebot», andere Städte wie Las Vegas oder Nashville gar keines.

Die Amtrak-Vision sieht denn auch vor, diese beiden Städte ans Streckennetz anzuschliessen – genauso wie Colorado Springs, Baton Rouge oder Louisville.

Pop-up-Velowege wirken

Während der Coronakrise haben viele Städte Pop-up-Velowege eingerichtet. Denn viele Menschen stiegen in der Pandemie aufs Velo um und verzichteten auf die Nutzung des öffentlichen Verkehrs.

Eine Studie des Berliner Mercator Research on Global Commons and Climate Change (MCC) zeigt nun auf, welchen Effekt die Spontan-Velowege hatten.

Für die Studie wurden Velo-Zählstellen in 106 europäischen Städten wie Berlin, Wien, Stuttgart oder Paris ausgewertet. Städte mit Pop-up-Velowegen wurden mit Städten ohne verglichen. Dabei zeigte sich: Die Pop-up-Velowege bewirkten für sich genommen im Zeitraum März bis Juli 2020 zwischen 11 und 48 Prozent zusätzlichen Veloverkehr. So formulieren es die Forscher. Auf einer Länge von 11,5 Kilometern hatten diese Städte durchschnittlich neue Wege fürs Zweirad geschaffen. Mögliche Störfaktoren wie Unterschiede bei der Platzierung der Zählstationen, bei der Ausstattung mit Bus und Bahn, bei der Bevölkerungsdichte, Neigung zu «grünem Lebensstil», Topografie und Wetter wurden herausgerechnet.

Der Effekt von Pop-up-Velowegen auf die Velonutzung in 106 untersuchten Städten. Bild: PNAS.org

Pop-up-Velowege seien eine sehr günstige Möglichkeit, den Verkehrsmittel-Mix erheblich zu beeinflussen, schreiben die Forscher. In Berlin koste ein Kilometer Pop-up-Veloweg etwa nur 9’500 Euro.

Wie langfristig diese Effekte sind, ist eine andere Frage. «Es ist klar, dass viele Leute wegen Corona sowieso aufs Rad umsteigen, um nicht im vollen Bus zu sitzen», wird Leitautor Sebastian Kraus zitiert. «Aber wir zeigen, dass die neuen Radwege darüber hinaus in beträchtlichem Umfang zusätzlichen Radverkehr bewirkt haben.» 

Die Pop-up-Velowege hätten auch positiven Einfluss auf die Gesundheit. In der Forschungsliteratur gebe es eine gängige Faustregel: Jeder mit dem Velo zurückgelegte Kilometer spare einen halben US-Dollar an Gesundheitskosten. «Für diejenigen der 106 untersuchten Städte, die Pop-up-Radwege markiert haben, würde sich der Nutzen auf insgesamt mindestens eine Milliarde Dollar im Jahr addieren – sofern der Effekt auf die Rad-Nutzung dauerhaft ist», so die Autoren. Ob das so ist, weiss zurzeit noch niemand.



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